Die Lagune Der Flamingos
sehr fest klang. Ist sie eigentlich schon immer so entschlossen aufgetreten?, fragte er sich. Nein, früher ist sie schüchterner gewesen. Die Jahre als Geschäftsfrau haben sie offenbar geprägt.
Er schwieg eine Weile nachdenklich, dann beteiligte er sich wieder am Gespräch. Fröhliches Lachen war zu hören. Trotzdem konnte Eduard nicht umhin, seine Schwester ab und zu vorsichtig zu mustern, während er Marias köstliche minestrone aß, die sie nach einem italienischen Rezept zubereitet hatte. Nach der Vorspeise ließ er sich einen Teller Nudeln schmecken mit einer äußerst schmackhaften Fleischsoße, zum Dessert gab es Vanillecreme. Eduard hatte schon lange nicht mehr so gut gegessen.
Als die kleine Leonora unter Protestgeschrei von ihrer Kinderfrau ins Bett gebracht wurde, musste Eduard an die schweren Zeiten vier Jahre zuvor denken. Leonoras Halbschwester Marlena hatte ein nicht so unbeschwertes Leben gehabt. Als endlich ein wenig Ruhe in ihr Leben eingekehrt war, waren sie und ihre Freundin Estella, die Tochter von Viktoria, in große Gefahr geraten. Damals hatte Eduard sein Leben endgültig geändert, Buenos Aires verlassen und war aufs Land gezogen. Seitdem verwaltete er die Estancia La Dulce – dulce bedeutete so viel wie süß und wies auf eine Süßwasserquelle hin – in Viktorias Namen. Durch harte Arbeit hatte er das Gut zum Blühen gebracht. Dieses Jahr würde die Ernte noch besser ausfallen als im Jahr zuvor. Die Schafe hatten mehr gesunde Lämmer bekommen, als erwartet, und die Kühe gaben beste Milch. Auch das Fleisch seiner Rinder war gefragt, die Obstbäume trugen gut.
Ja, dachte Eduard, La Dulce ist ein Paradies, und es ist mir ans Herz gewachsen. Er konnte sich nicht mehr vorstellen, von La Dulce fortzugehen. Er wollte für den Rest seines Lebens dort bleiben. Das Einzige, was zu seinem vollständigen Glück noch fehlte, war eine Frau. Er unterdrückte einen Seufzer.
Früher war er gern allein gewesen, hatte niemandem getraut und sich nur ab und zu eine Hure genommen. Je älter er wurde, desto mehr sehnte er sich nach Gemeinschaft und nach Kindern.
Als sich die kleine Abendgesellschaft schließlich auflöste, ging Eduard noch einmal hinaus in den Patio, setzte sich in einen der Korbsessel und steckte sich eine Zigarre an. Über ihm breitete sich ein von Sternen übersäter Himmel aus. Der Mond tauchte die Umgebung in ein sanftes Licht.
Als Eduard wenig später Schritte hörte, musste er zugeben, dass er nicht überrascht war.
»Anna?«, fragte er, ohne aufzublicken.
»Woher weißt du …?«
»Ich kenne dich eben.«
Eduard stand auf und schaute seine Schwester an, seine Zigarre glühte rot auf, als er einen tiefen Zug nahm. Anna schien unschlüssig.
»Du fragst dich«, sagte Eduard, »warum ich nach so vielen Jahren die Estancia verlassen habe, um herzukommen, nicht? Du glaubst nicht, dass es mir nur darum geht, dich oder die Familie zu sehen. Wo ist eigentlich Vater? Er lebt doch noch, oder?«
»Er wird irgendwo sitzen und trinken, wie immer. Meinst du, ich hätte dich von seinem Tod nicht in Kenntnis gesetzt?«
»Doch, das hättest du wohl.« Eduard zog an seiner Zigarre. »Und jetzt sag mir, was du auf dem Herzen hast.«
Anna runzelte die Stirn, was sie für einen Moment wieder aussehen ließ wie die kleine Schwester von einst, dann straffte sie den Körper. Sie war immer noch so schlank, wie sie als junges Mädchen gewesen war, doch die Frau, die nun vor ihm stand, war eine Vierzigjährige, die wusste, was sie wollte. Sie hatte ein Unternehmen aufgebaut und zum Erfolg geführt. Sie hatte sich gegen viele Widerstände durchgesetzt.
Sie ist eine mutige Frau, dachte Eduard und nahm erneut einen tiefen Zug von seiner Zigarre, dann paffte er bedächtig kleine Rauchwölkchen in die warme Nachtluft.
»Ich hatte einfach das Bedürfnis, Buenos Aires noch einmal wiederzusehen«, sagte er leise.
»Wirklich nicht mehr?« Er hörte das leise Misstrauen in Annas Stimme.
»Was denkst du? Dass ich mein altes Leben wieder aufnehme und dir Ungemach bereite?« Eduard versuchte zu lächeln, doch er spürte auch Ärger in sich aufsteigen. »Ist es wegen damals? Wegen der Sache mit Utz und Breyvogel?« Er schwieg kurz. »Was macht Breyvogel eigentlich jetzt?«, fragte er dann.
»Er ist tot«, Anna schauderte kurz, »ein Unfall. Sein Sohn hat Buenos Aires verlassen, das Unternehmen gehört wohl noch ihm, aber es ist völlig heruntergekommen. Ich …«
»Sie hätten nicht anders gehandelt,
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