Die Lagune Der Flamingos
jedoch seine Vorgehensweise. Die Prostitution war eines seiner Standbeine, aber er hielt sich im Hintergrund. Reichtum und Ansehen erlangte man nicht, indem man sich die Finger schmutzig machte. Lorenz Schmid wusste inzwischen, dass sich das meiste Geld dort fand, wo die Hände sauber blieben.
Er klopfte dem Kutscher, um ihm zu bedeuten, dass das Ziel erreicht war. Knirschend kam das Gefährt zum Stehen. Hier draußen waren die Wege noch nicht alle gepflastert. War es heiß, kroch einem der Staub in jede Pore, regnete es, konnte sich die Straße in einen kleinen Fluss verwandeln. Vielleicht würde er demnächst etwas Geld aufbringen und einen Teil des Weges pflastern lassen, dazu einen Bürgersteig stiften. Das war auch etwas, was er in seinem neuen Leben gelernt hatte: Es kam darauf an, sich einen guten Namen zu machen. Es war besser, als der bekannt zu sein, der die Straßen pflasterte, statt als der, dessen Messer locker saß.
Das Haus, in dem die Familie Schmid wohnte, war typisch argentinisch, ebenerdig, etwa stockhoch, mit einer schmalen Front. Es stand, wie die meisten Häuser in Buenos Aires, direkt an der Straße. Die Mauern waren aus Backstein, die Tür war massiv, als erwarte man jederzeit einen Angriff, schmiedeeiserne Gitter schützten die Fenster. So schlicht das Haus zur Straßenseite hin wirkte, so luxuriös war der Innenausbau. Es gab bequeme und verschwenderisch ausgestattete Zimmer und nach hinten hinaus drei laubumsponnene, marmorgepflasterte, mit Bäumen und Blumen geschmückte Hofräume.
Lorenz schloss auf, hörte den Türsteher herbeieilen, der ihm gleich Hut und Mantel abnahm. Über den ersten Patio hinweg konnte er durch einen Torbogen in den zweiten Patio spähen. Seine Frau Maisie saß dort in ihrem Korbsessel. Ihr glattes goldblondes Haar floss wie ein Wasserfall aus Seide über die Sessellehne. Zu ihren Füßen auf einem Schemelchen saß ihr Dienstmädchen, damit beschäftigt, Tee für ihre Herrin aufzubrühen und ihr süße Leckereien zu reichen. Maisie hatte offenbar gelesen, doch nun ruhte das Buch in ihrem Schoß.
»Maisie!«, rief Lorenz leise, als er den Eingang zum Patio erreichte.
Seine Frau wandte den Kopf. Ihre azurblauen Augen leuchteten auf, dann lächelte sie ihn an. Ein Gefühl unendlicher Liebe, zu der er sich früher gar nicht fähig gefühlt hatte, durchströmte ihn. Maisie war die Nachfahrin von Anglo-Argentiniern, die schon seit dem 18. Jahrhundert ihre Geschäfte in Buenos Aires machten. Sie hatten sich auf einer tertulia , einer jener zwanglosen Abendgesellschaften, von deren Existenz und Ablauf Lorenz bis zu jenem Tag kaum etwas geahnt hatte und zu der er vollkommen zufällig gekommen war, kennengelernt. Rasch hatten sie Gefallen aneinander gefunden.
»Wie war dein Tag?«, fragte sie ihn jetzt mit jener warmen, dunklen Stimme, die ihn schon beim Hinhören aufreizte und die so gar nicht zu ihrer zarten Gestalt passen wollte.
»Gut. Wir haben ein neues Geschäft abgeschlossen.«
»Das ist ja wunderbar. Papa wird stolz auf dich sein.«
»Ja, das wird er.« Lorenz warf einen kurzen Blick auf Maisies Leibesmitte. »Und, wie geht es dir und dem Kleinen?«
»Gut.«
Lächelnd nahm sie eine Tasse Tee aus der Hand ihres Dienstmädchens entgegen.
Lorenz streichelte Maisies Schulter. »Ich muss noch ein paar Geschäftspapiere durchgehen.«
Sie nickte. Wenig später beobachtete Lorenz seine Frau von seinem Zimmer aus, das direkt an den zweiten Patio grenzte. Sie war ein verwöhntes, liebes Kind, aber er war froh darum. Sie war ihm gegenüber bedingungslos loyal, das hatte ihr ihr Vater beigebracht. Ihr Vater, Lionel Cuthbert, war es auch gewesen, der ihn, Lorenz, ins Geschäft gebracht hatte. Heute befand sich sein Büro in der Nähe der Plaza de Mayo. An der Tür stand Lorenz Schmid & Co – Import-Export.
Lionel hatte nicht gefragt, was Lorenz vorher getan hatte. Er hatte auch nicht den Wunsch seiner Tochter infrage gestellt, diesen Mann zu heiraten. Maisie hatte nie einen Wunsch abgeschlagen bekommen. Es gab da eine seltsame Geschichte aus den Anfängen der Familie in Buenos Aires, eine Geschichte, die man sich nur mit gesenkter Stimme erzählte. Diese besagte, eine Vorfahrin der Cuthberts sei einst mit einem Gefangenenschiff auf dem Weg nach Australien gewesen. Dieses Schiff habe vor der Küste Argentiniens Schiffbruch erlitten, die weibliche »Fracht« sei nach Buenos Aires gelangt und jene Familienangehörige zu einer berühmten Kurtisane aufgestiegen.
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