Die Lagune Der Flamingos
war er glatt rasiert, sein Haar war sorgfältig geschnitten. Er sah so ordentlich aus, dass man die Narbe, die seine linke Wange verunstaltete, kaum wahrnahm. In Don Eduardos Tagen hatte Lorenz als ein loyaler Mann gegolten. Jetzt schuldete er wohl nur noch sich selbst Loyalität. Die Zeiten änderten sich.
»Don Eduardo! Es ist lange her.«
»Lorenz!« Eduard nickte ihm zu. »Don Eduardo …«, fuhr er dann mit einem Schmunzeln fort, »… so hat mich schon lange niemand mehr genannt.«
»Willst du denn noch so genannt werden?«
Lorenz schaute seinen alten Mitstreiter und Anführer aufmerksam an. Die Frage war präzise gestellt: Bist du hergekommen, um Ärger zu machen? Eduard hatte schon viel erlebt, und doch erinnerte er sich jetzt mit Schaudern daran, zu welcher Brutalität der Mann, der da vor ihm stand, fähig war. Lorenz hatte nie gezögert, wenn es ums Töten ging. Trotz seines seriösen Anzugs bezweifelte Eduard, dass sich daran etwas geändert hatte. Er setzte, ohne Lorenz aus dem Blick zu lassen, den Becher mit Rum an und nahm einen Schluck, dann stellte er ihn wieder ab.
»Nein, Don Eduardos Tage sind vorüber. Und, wie läuft das Geschäft bei dir? Ich habe gehört, du bist heute der wichtigste Mann hier?«
»Wer sagt das?« Lorenz’ Blick hatte jetzt etwas Misstrauisches. »Nein, nein, ich habe mich ebenfalls zurückgezogen. Hier sieht man mich nur noch selten. Ehrlich währt am längsten, nicht wahr? Denkst du daran zurückzukommen?«, fragte er dann direkter.
Eduard wandte sich wieder seinem Becher mit Rum zu.
»Nein«, er zögerte kurz, »es ist schön auf La Dulce.« Er sah versonnen in die Ferne. »Um diese Jahreszeit machen wir Heu, die Schafe müssen gegen die Räude behandelt werden, die Disteln liegen verblüht am Boden. Manchmal brechen Buschfeuer aus, aber damit muss man leben auf einer Estancia …«
Lorenz sagte nichts.
Eduard nahm einen weiteren tiefen Schluck Rum, bewegte die brennende Flüssigkeit eine Weile im Mund hin und her, bevor er das scharfe Gebräu herunterspülte. »Um es noch einmal kurz zu sagen: Nein, ich will nicht zurückkommen. Ich besuche lediglich meine Schwester.« Er sah an Lorenz’ Gesichtsausdruck, dass dieser ihm immer noch nicht glauben wollte. Eduard leerte seinen Becher endgültig. »Nun gut«, sagte er dann, »reden wir Tacheles, Lorenz. Ich führe ein gutes Leben auf La Dulce, das ist wahr, allerdings …« Eduard hielt einen Moment inne und stellte dann den Becher ab, »… interessiert mich eines doch sehr: Wer hat Elias damals getötet?«
Lorenz gab dem Besitzer der pulpería ein Zeichen, dass er ebenfalls einen Rum wollte, dann zuckte er die Achseln. »Ich weiß es nicht. Wird einer von Gustavs Fußsoldaten gewesen sein, jemand Unwichtiges. Damals hieß es, es sei dieser Piet gewesen, aber den kann niemand mehr fragen. Er ist tot, und Michel wurde seither auch nicht mehr gesehen.« Lorenz lachte leise. »Vielleicht hat ihn die Pampa gefressen.«
Eduard ging nicht auf seine Bemerkung ein. »Piet, so, so …«, sagte er langsam. »Gibt es Zeugen dafür?«
»Nein.«
Eduard zog es kurz den Magen zusammen.
Vergiss es, sagte nicht zum ersten Mal eine Stimme in ihm, lass los, lass die Vergangenheit Vergangenheit sein. Was auch immer du tust, es wird dir Elias nicht zurückbringen.
Er wollte noch etwas sagen, doch ein Raunen, das die pulpería zum Vibrieren brachte, ging durch die Menge der Gäste. Zwei Frauen waren im Eingang aufgetaucht. Die jüngere hatte kastanienbraunes Haar, die ältere hellblondes.
»Mina!«, rief jemand aus, während sich Eduard gerade noch fragte, wieso die beiden so viel Aufmerksamkeit erregten.
»Annelie!«, folgte eine andere Stimme. »An mein Herz, meine Süßen.«
»Wer sind die beiden?«, wandte sich Eduard an Lorenz, während sich sein Blick auf die beiden Frauen richtete.
»Huren«, antwortete der in gelangweiltem Tonfall, »das ist das neue, ganz große Geschäft in dieser Stadt. Wusstest du das nicht?«
Lorenz nahm eine Kutsche in Richtung Barrio Norte, einem der vornehmeren Viertel im Norden der Stadt, wo er ein Haus gekauft hatte. Es hatte sich viel verändert seit jenen aufregenden Wochen vor nunmehr vier Jahren. Damals hatte er begonnen, alles richtig zu machen, und er hatte seitdem alles richtig gemacht. Er lebte nicht mehr in dem kleinen, schmutzigen Zimmer, das er sich zuweilen sogar mit anderen hatte teilen müssen. Er hatte eine Frau und bald auch ein Kind. Er hatte sein Leben nicht geändert,
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