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Die Lagune Der Flamingos

Die Lagune Der Flamingos

Titel: Die Lagune Der Flamingos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofia Caspari
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vertiefte. John hatte sie auf den Brief hingewiesen – seinen Brief – und wartete nun gespannt auf ihre Reaktion. Es waren ihre Berichte, wie sie erkannte, die er in scharfe Worte gefasst hatte. Stumm las Jenny die Zeilen bis zum Ende durch. Den letzten Abschnitt las sie noch einmal laut: »Man findet diese Frauen in Buenos Aires oder Rio de Janeiro, denn der Handel mit ihnen ist ein lukratives Geschäft. Die ›schöne Ware‹ aus Europa findet leicht ihre Käufer.«
    John, die Arme vor dem Körper verschränkt, begann jetzt, unruhig auf und ab zu wandern. Sein Gesichtsausdruck war grimmig.
    Jenny sah wieder auf den Brief, leckte sich über die Lippen und fuhr fort. »Wenn nur irgendjemand erfahren möchte, wie man die Mädchen behandelt, dann rate ich ihm, einen Spaziergang über die Calle Juan und die Calle Lavalle zu machen, jene zwei Straßen, die der Volksmund hier nur Calles de Sangre y Lágrimas, die Straßen des Blutes und der Tränen, nennt.« Jenny hob den Kopf. »Ich weiß nicht …«
    »Was? Denkst du, es ist übertrieben?« John schaute sie empört an.
    »Nein, aber du hättest vielleicht eine etwas andere Wortwahl treffen können.«
    »Weniger blumig?« In einer Mischung aus Herausforderung und Vorwurf sah er sie an.
    »Ach, John!« Jenny erwiderte seinen Blick ärgerlich.
    Warum streiten wir uns in letzter Zeit nur so häufig, fuhr es ihr zugleich durch den Kopf, warum ist er nur immer so gereizt? Ich dachte, wenigstens wir wären einer Meinung. Es reicht doch, wenn ich mich mit Mama streite. Nun, Jenny unterdrückte einen Seufzer, John war mit großen Plänen nach New York gefahren, hatte bisher allerdings kaum etwas von seiner Reise erzählt. Jenny beugte sich zu der Zitronenlimonade hinüber, die Ruth ihnen gebracht hatte, goss ihre beiden Gläser wieder voll und reichte John eines.
    »Wie war es eigentlich in New York?«
    Er zuckte die Achseln. »Anders als ich …«, setzte er dann an, verstummte aber sogleich wieder, denn es klopfte an der Tür, und gleich danach wurde sie geöffnet.
    »Jenny?«, war Rahels Stimme zu hören, dann brach die ältere Frau ab. »Oh, entschuldige, ich wusste nicht, dass du Besuch hast.«
    Jenny stand auf, denn ihre Mutter brachte neuen Besuch – Estella und Marlena, die John nun beide nicht aus den Augen ließen. Wie zu erwarten machte Estella sofort Eindruck auf John. Er musterte sie freimütig und schenkte ihr ein Lächeln. Marlena grüßte er wie eine alte Bekannte, Rahel dagegen so knapp, dass es fast unhöflich wirkte.
    Sie hat ihn eben noch nie gemocht, fuhr es Jenny durch den Kopf, sie hält ihn für einen Blender und Schwätzer, der redet und nichts tut. Als Jenny ihrer Mutter gegenüber unlängst erneut die Fürsorgearbeit infrage gestellt hatte, hatte Rahel ihr auf den Kopf zugesagt, John spreche aus ihr. Auf ihre ganz eigene geduldige Art hatte sie Jenny zu erklären versucht, dass er im Unrecht sei. Jenny schüttelte die unangenehmen Gedanken schnell ab.
    »Estella«, wandte sie sich dann an Marlenas Freundin, »wie waren deine Ferien? Wie geht es deiner Mutter und Pedro? Was macht dein Bruder?«
    »Es geht allen gut, danke. Paco war mal wieder ein bisschen anstrengend, aber sonst war es schön, wenn auch sehr kurz.« Estella bewegte den Kopf fast unmerklich zur Seite, um John anzusehen, dann streckte sie ihm die Hand entgegen. »Estella Santos von Tres Lomas bei Tucumán.«
    »John Hofer.«
    Marlena spürte, wie sich etwas in ihr zusammenkrampfte. Sie war sich sicher, dass John Estellas Hand länger festhielt als nötig.

Zehntes Kapitel
    » Compañeras , Genossinnen, hört auf die Stimmen eurer Freunde. Eure Ausbeuter besitzen euch nicht. Wenn ihr sie verlassen wollt, dann tut es. Die Polizei wird euch helfen. Ihr seid keine Sklaven, ihr seid ehrbare Frauen!«, las Blanca.
    Mit einem leisen Seufzer legte sie die alte Zeitung beiseite und setzte sich vor den Frisierspiegel in ihrem kleinen Zimmer. Sie wusste, dass sich schon ein paar junge Mädchen von diesem Artikel hatten beeindrucken lassen. Sie wusste auch, dass man zumindest zweien zur Warnung das Gesicht zerschnitten hatte. Blanca hielt das, was in dem Artikel stand, in jedem Fall für baren Unsinn. In ihrer Welt gab es keine Gemeinsamkeit, keine Freundschaft und keine Kameradschaft. Die Polizei wird euch helfen? Die Polizei ausgerechnet? Was dachten sich diese Schreiber? Warum mischten sie sich ein und erzählten einem von einem besseren Leben, das es doch ohnehin nicht gab? Das hier war

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