Die Lagune Der Flamingos
gar nicht ihrer Meinung. Sie gab zuweilen sogar vor, sie spreche nur noch sehr schlecht Deutsch. Bei den deutschen Familien, die schon lange in Buenos Aires lebten, war das tatsächlich zunehmend der Fall.
Dieses Mal also eine Weihnachtsfeier mit Brautschau … Im Garten hatte man die Bäume geschmückt. Man hatte sogar Weihnachtslieder gesungen, wenn auch hier und da die üblichen, nörgelnden Stimmen zu hören waren, dass wegen der Hitze kein wirklich weihnachtliches Gefühl aufkomme. Und Estella war mal wieder in Tucumán, sonst hätte Marlena wenigstens mit ihr ein bisschen Spaß haben können. Zum Glück blieb die Freundin nicht mehr allzu lange fort.
Marlena beschloss, endlich doch einen Schluck Champagner zu sich zu nehmen. Sie würde auch an diesem Tag keinem der Herren in guter Erinnerung bleiben. Zwar hatte Julius beteuert, ihre Mutter und er hegten keineswegs weitergehende Hintergedanken, aber Marlena traute dem nicht. Sie hielt sich deshalb auch so gut es ging aus dem Trubel heraus, steuerte endlich entschlossen auf die Gartentür zu. Später, beim abschließenden Feuerwerk, würden bestimmt alle in den Garten kommen, aber noch hoffte Marlena, dort unten ihre Ruhe zu haben. Langsam lief sie die Treppe von der Veranda hinunter, spazierte dann zu dem lauschigen Platz hinüber, an dem ihre Eltern so gern saßen.
Mit einem tiefen Seufzer ließ sich das junge Mädchen in einen der Korbsessel fallen und schaute zum Meer hinüber, das sich in der Ferne wie ein silbergrauer Teppich ausbreitete. Ob ich bald einmal wieder über dieses Meer weit, weit weg von hier fahren werde?, dachte Marlena. Sie wünschte es sich so sehr.
»Wirklich, ein schönes Plätzchen«, sagte unvermittelt jemand hinter ihr.
Marlena fuhr zusammen. Sie hatte gar keine Schritte gehört, dabei hatte sie doch so achtsam sein wollen. Mit einem Satz sprang sie auf.
»Señor Hofer.«
»John, bitte.«
»Aber wir kennen uns doch gar nicht richtig.«
»Nein, tun wir das nicht? Ich bin ein Mensch, und du bist einer, oder sehe ich das falsch?« Er deutete auf sich. »John, einfach John.«
Marlena sah verlegen zu Boden. O nein, ich mache schon wieder alles falsch, fuhr es ihr durch den Kopf, ich bin wie diese feinen Damen, die ich nicht leiden kann, und er bestimmt auch nicht. Sie nahm allen Mut zusammen, blickte wieder auf und streckte John die Hand hin. Sein Griff war fest, und dann, mit einem verschmitzten Lächeln, zog er ihren Handrücken an seine Lippen.
»So bist du das doch wahrscheinlich gewöhnt?«
»Äh … nein … ich …« Marlena stieg die Röte in die Wangen. »Ich bin Marlena.«
Er nickte.
Sie nahm erneut allen Mut zusammen. »Und wie bist du hierhergekommen?«
»Ich habe Jenny gebracht und bin dann einfach dageblieben. Ist immer mal wieder interessant, so etwas zu beobachten. Erinnert einen an das, was man unbedingt ändern möchte.«
Er lächelte sie an, doch dieses Mal lächelten seine Augen nicht mit. Marlena kämpfte die spitze Bemerkung herunter, dass er doch nicht habe kommen müssen, wenn ihm das alles missfalle. Die Empfänge ihrer Eltern hatten einen guten Ruf. Was auch immer sie zu kritisieren hatte, sie war dennoch stets stolz darauf gewesen.
»Und, warum hast du das Fest deiner Eltern einfach verlassen?«, fuhr John in ihre Gedanken.
»Weil ich niemanden heiraten will, den sie für mich ausgesucht haben«, platzte Marlena heraus, trotz aller Vorhaben, sich ihm gegenüber jetzt schweigsam zu geben.
John hob die Augenbrauen. »Besteht denn die Gefahr?«
Marlena zuckte die Achseln.
»Und was willst du stattdessen tun?«
»Ich will Journalistin werden.«
Zum ersten Mal hatte Marlena nicht lange darüber nachgedacht, ob sie ihr größtes Geheimnis verraten wollte. Wenn sie jemand verstand, dann John Hofer.
»Aha, Journalistin …« Er ließ sie nicht aus dem Blick. »Dazu wirst du aber die wirkliche Welt kennenlernen müssen.«
Marlena wich Johns forschendem Blick aus, antwortete ihm aber mit fester Stimme. »Das will ich ja.«
»Ich kann dir die Welt zeigen, so wie du sie noch nicht kennst. Einverstanden?«
John schaute sie prüfend an, während er ihr die Hand entgegenstreckte. Ohne zu zögern, schlug Marlena ein.
Er wird mich aus dieser falschen Glitzerwelt fortführen. Ich muss nur meine Festtagskleidung unter einem Umhang verbergen, sagte sie sich. Aber Jenny hat mich ja schon einmal in die dunklen Ecken Buenos Aires’ geführt, ich weiß also, was auf mich zukommt.
Doch sie irrte sich. Sie
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