Die Lagune Der Flamingos
Blancas Leben. Dieses Leben kannte sie. Dafür war sie bereit zu kämpfen.
Und der Erfolg gibt mir Recht .
Sorgfältig umrandete Blanca ihre Augen mit Khol, um sie noch ausdrucksstärker zu machen. Mit dem Mittel hatte sie eine Syrerin bekannt gemacht.
Ja, ich habe Erfolg.
Sehr rasch hatte sie beispielsweise ihrer »Mutter«, der Besitzerin des Bordells, ein eigenes Zimmer abgerungen. Zweifelsohne war sie ihr das bei dem, was Blanca an Einnahmen brachte, auch schuldig.
Als Blanca zehn Monate zuvor aus Patagonien nach Buenos Aires zurückgekehrt war, hatte sie zuerst gedacht, es würde ihr schwerfallen, neue Kunden zu finden. Schließlich hatte sie sich, um bei ihrem Ritt durch die Pampa nicht als Frau aufzufallen, die Haare kurz scheren müssen. Die anstrengende Reise hatte ihr zudem etliche Blessuren und auch festere Muskeln beschert, doch es gab Männer, die ganz offenbar eine Vorliebe für sehr schlanke, kurzhaarige Frauen hegten. In jedem Fall hatte sie schnell wieder mit der Arbeit beginnen können.
Das Geschäft mit der Prostitution lief in jedem Fall bestens. Im südlichen Distrikt von La Boca lockten zwielichtige Spelunken Seeleute und arme Emigranten an. An den westlichen Ausläufern der Stadt, in der Nähe der Kasernen, verdienten zumeist Mulattinnen ihr Geld. Die besten Häuser lagen in der Nähe der Plaza de Mayo, sie waren angenehm ausgestattet, verfügten über Salons zum Kartenspiel und für die Konversation und boten junge, attraktive Französinnen, Italienerinnen oder Deutsche. Die Trennlinie der Respektabilität stellte die Straße namens Reconquista dar.
Nach zwei Jahren an einem verlorenen Ort in der Nähe des Río Negro, im Grenzgebiet zwischen Indianern und Weißen, und einem langen, einsamen Ritt durch die Pampa war Blanca in einer Stadt angekommen, die, wenngleich immer noch von der alten kolonialen Architektur geprägt, sehr viel quirliger war, als sie sie in Erinnerung hatte. Die Straßenbahnen, die etwa zehn Jahre zuvor erstmals auf den Straßen gefahren waren, schafften größere Mobilität und ermöglichten eine weitere Ausdehnung. Auch die Dörfer Flores und Belgrano würden bald ihre Unabhängigkeit verlieren und zu einem Teil der Hauptstadt werden. Im eleganten Stadtzentrum mit seinen Modegeschäften, Cafés, Restaurants und prächtigen Bankgebäuden war inzwischen aus manch enger Straße eine prächtige Allee geworden. Argentinier, reich geworden durch den Handel und die Spekulation mit Land, reisten jetzt nach Europa, ließen sich kulturell inspirieren und kauften Waren, die in ihrem Land nicht zu bekommen waren. Die Redensart »reich wie ein Argentinier« etablierte sich.
Nachdenklich fuhr Blanca mit dem Kamm durch ihr Haar. Langsam wurde es wieder länger. Wie so oft musste sie an ihre Mutter denken und daran, was sie ihr während ihres letzten gemeinsamen Nachmittags am Fluss mit auf den Weg gegeben hatte. Damals, kurz vor ihrem Tod, hatte Corazon noch einmal von Blancas Vater, ihrem geliebten Gustavo, gesprochen. Sie hatte ihre Tochter aufgefordert, eines Tages nach Buenos Aires zurückzukehren und seine Familie aufzusuchen – Gustavos Bruder Eduardo oder seine Schwester Ana. Sie seien ihr etwas schuldig. Vollauf damit beschäftigt, sich ihren Platz in der Stadt zurückzuerobern, war Blanca bislang nicht bei einem von ihnen vorstellig geworden. Ein wenig lag es auch daran, dass sie keine Bittstellerin sein wollte. Schon früh hatte sie ihr Leben allein in die Hand genommen. Inzwischen aber dachte sie immer öfter darüber nach, Kontakt zur Familie aufzunehmen. Sie hatte schon Erkundigungen eingezogen. Das Fuhrgeschäft von Ana befand sich immer noch am gleichen Ort, wenn die Familie auch inzwischen in Belgrano lebte. Aber würde man ihr glauben, wenn sie sich als Gustavo Brunners Tochter vorstellte?
Schimpfende Frauenstimmen vor ihrer Tür ließen Blanca kurz den Kopf heben. Sie erkannte französische und italienische Worte. Die meisten europäischen Huren kamen aus Osteuropa, Frankreich und Italien. Nicht alle von ihnen waren unerfahrene Jungfrauen, wie zuweilen behauptet wurde. Die Stimmen draußen wurden wieder leiser, und erneut schlichen sich Gedanken an die Schwester ihres Vaters in ihren Kopf.
Deine Tante, sagte sie sich in Gedanken, als könne sie sich die fremde Frau damit näherbringen, diese Ana ist deine Tante …
Früh am nächsten Morgen machte Blanca wie gewohnt einen Spaziergang zum Río de la Plata. Jeden Morgen kamen hier Grüppchen von Schwarzen und
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