Die Lagune Der Flamingos
verschwand und kehrte wenig später mit einer jungen schwarzhaarigen Frau zurück.
Ohne zu zögern, streckte Rahel ihr mit einem Lächeln die Hand hin. »Ich bin Rahel Goldberg.«
»Ruth Czernowitz.«
Die Stimme der jungen Frau klang leise. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, dann presste sie jedoch die Lippen aufeinander. Rahel beschloss, dass es das Beste wäre, sich rasch von Rabbi Feidman zu verabschieden, um es Ruth nicht unnötig schwer zu machen.
Bis sie das Haus der Goldbergs in Belgrano erreicht hatten, sagte Ruth keinen Ton.
Ich werde sie irgendwie beschäftigen müssen, überlegte Rahel, sonst wird die Angst sie ständig grübeln lassen.
»Können Sie kochen?«, fragte sie also, als sie die junge Frau später, im Salon des Goldberg’schen Hauses, erstmals eingehender musterte.
Etwas blitzte plötzlich in Ruths Augen auf. Wut? Aufbegehren? Dann war es schon wieder verschwunden.
»Ich war verheiratet«, antwortete sie zaghaft.
Rahel zögerte. »Gut, Sie können also kochen«, murmelte sie. Sie hielt einen Moment inne. »Hat sich Ihr Mann von Ihnen getrennt?«, fragte sie dann.
Ruth sah zu Boden. »Wir waren mittellos. Jemand hat ihm Geld dafür geboten, dass ich hierherkomme. Er hat es genommen.«
Rahel schüttelte entsetzt den Kopf. Ruth sah sie kurz an und blickte sich dann im Zimmer um. Sehr aufmerksam betrachtete sie die feinen Möbel, den Teppich, die Gemälde an der Wand.
»Ach, was wissen Sie schon? Sie können das sicher nicht verstehen«, sagte sie dann. »Wir haben uns geliebt, aber wir hatten nichts zum Leben. Unser …« Sie brach ab, setzte dann neu an. »Was sollten wir denn tun? Sterben?«
Rahel schwieg einen Moment und holte dann tief Luft. »Was geschah dann?«
»Mein Mann hat das Geld genommen und sicherte sein Leben, und ich bin mit dem gegangen, der mir mein Überleben sichern sollte.« Rahel kam es so vor, als meide Ruth ihren Blick. Jetzt, da sie mehr Ruhe hatte, die zierliche junge Frau zu betrachten, stellte sie fest, dass Ruth ausgesprochen hübsch war. »Sie wissen sicher, wie das in unseren Kreisen für eine Frau ist, von der sich der Mann getrennt hat. Sie haben mir nicht geglaubt, dass er es nicht freiwillig getan hat …«
»Ja, ich weiß, und eben deshalb …«
»Sie glauben es ja auch nicht, nicht wahr? Aber ich habe es für ihn getan und für unseren Jungen.«
»Sie haben ein Kind?«
»Bitte … Ich will nicht darüber sprechen.«
Ruth wandte Rahel den Rücken zu und ging zum Fenster. Rahel drang nicht weiter in sie. Sie läutete nach einem Mädchen und wies es an, ihnen Tee und Gebäck zu bringen.
»Ruth wird ab heute für einige Zeit bei uns wohnen. Zeig ihr doch bitte das Haus.«
Jenny drehte den Kopf zur Tür. Die dunkelhaarige junge Frau, die im Türrahmen stehen geblieben war, knickste ungelenk.
»He, keine Förmlichkeiten«, bemerkte Jenny. Dann lächelte sie und streckte Ruth die Hand entgegen. »Ich bin Jenny.«
Ruth nickte nur, während sie Jennys Hand schüttelte. Jenny bemerkte jedoch, dass Ruth sie insgeheim musterte, und auch sie versuchte, einen ersten Eindruck von der augenscheinlich verunsicherten jungen Frau zu gewinnen. Vielleicht, überlegte Jenny, ist Ruth eine der armen Jüdinnen aus dem Osten Europas, die man in Scheinhochzeiten hineingezwungen hatte und deren Zuhälterehemänner selten Schwierigkeiten hatten, ihre an unbedingten Gehorsam gewöhnten Ehefrauen in die Prostitution zu zwingen. Unter orthodoxen Juden konnten Hochzeiten arrangiert werden, indem zwei männliche Zeugen ein Heiratszertifikat unterzeichneten. Die Frau wurde dabei gar nicht erst gefragt. Die strenge Armut in Osteuropa führte dazu, dass immer mehr jüdische Frauen ihr Glück in der Neuen Welt suchten. Gelockt von falschen Versprechungen fanden sich viele von ihnen, im Gelobten Land angekommen, als Prostituierte wieder.
»Ich lasse euch beide dann mal allein«, sagte Rahel jetzt leise und zog sich zurück.
Nachdem Rahel verschwunden war, bedeutete Jenny Ruth, sich zu ihr zu setzen. Sie bot ihre eine Tasse Tee an, die Ruth mit einem Kopfschütteln ablehnte. Für einen Moment schwiegen sie erneut, dann fragte Jenny: »Sprichst du Deutsch?«
Ruth nickte.
»Spanisch?«
»Leidlich.«
»Dann sprechen wir also Deutsch.« Jenny lächelte Ruth an.
Schon nach kurzer Zeit hatten sie sich über die wichtigsten Dinge ausgetauscht. Ruth war ein wenig offener geworden, obwohl sie immer noch deutlich Vorsicht walten ließ, als zweifle sie daran, wirklich dem
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