Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Richtige tun, dann wäre dieser Schatz sein.
Mansuetta spitzte die Ohren, während sie mit Matteo im Garten spielte. Durch die offen stehende Hintertür konnte sie fast jedes Wort hören, das Isacco und Laura sprachen.
»Sic ubi dispositam quisquis fuit ille deorum; congeriem secuit sectamque in membra coegit, principo terram, ne non aequalis, ab omni parte foret, magni speciem glomeravit in orbis.«
Isacco rezitierte Ovid mit weicher, gleichmäßiger Stimme, und Mansuetta erinnerte sich mit schmerzlicher Deutlichkeit an die Zeit vor acht Jahren, als er mit ihr zusammen Latein gelernt hatte. Gemeinsam hatten sie bei seinem jüdischen Lehrer Vokabeln und Grammatik studiert, bis ihnen die Köpfe geraucht hatten. Er war ein guter Schüler gewesen, besser als sie. Sie wusste noch genau, mit welcher Leichtigkeit er alles verinnerlicht hatte, was der Lehrer ihnen beibrachte. Schon damals hatte sie Herzklopfen bekommen, wenn sie neben ihm saß, und er hatte ihre Unruhe ebenso wenig bemerkt wie heute.
Mansuetta fand nicht unbedingt, dass Ovid der passende Lesestoff für ein zwölfjähriges Mädchen war; sie selbst hatte erst sehr viel später seine Verse studiert, und bei manchen Stellen, die sie erst mühsam mit ihrem Lesestein entziffern musste, hatte sie vor Verlegenheit rote Ohren bekommen. Ihre Mutter wusste sicher bis heute nicht, dass Mansuetta gelegentlich einem Band der zerlesenen, handschriftlichen Sammlungen zu Leibe gerückt war, die Crestina im Laufe ihres Lebens für ihre persönliche Lektüre angefertigt hatte.
Nun ja, Isacco würde schon wissen, was er tat. Solange er sich bei seinem Lehrstoff auf die Metamorphosen über den Erdkreis beschränkte und die Liebesgedichte außen vor ließ, war daran nichts auszusetzen. Nach einem Jahr Latein war Laura sowieso noch nicht so weit, zusammenhängende Texte zu verstehen; sie konnte ja gerade erst richtig lesen. Meist ließ sie sich von Isacco einzelne Passagen vortragen, sprach den einen oder anderen Satz nach und versuchte Ausdrücke zu übersetzen, von denen Isacco meinte, sie müsse sie bereits beherrschen. Die Metamorphosen gaben auch Gelegenheit zu einem Exkurs in Geographie. Laura konnte mit Isaccos Hilfe das Erdenbild Ovids mit dem der heutigen Zeit vergleichen. Isaccos Vater, Messèr Zinzi, hatte kürzlich eine neue Weltkarte mitgebracht, und Isacco hatte sie sofort voller Begeisterung angeschleppt, um sie Laura vorzuführen. Obwohl er sonst aus seiner Verachtung über das Judentum im Allgemeinen und das Gewinnstreben seines Vaters im Besonderen kaum einen Hehl machte, war ihm anzumerken, wie viel ihm die Karte bedeutete. Er brachte sie bei jeder Gelegenheit mit und zeigte Laura mit leuchtenden Augen Kontinente, Länder, Städte und Flüsse, und sie war mit demselben Feuereifer bei der Sache wie er, wenn es darum ging, den fremden Gegenden die passenden Namen zuzuordnen und zu ergründen, welche Macht- und Handelsverhältnisse dort herrschten.
Isacco ging regelmäßig in die Druckerei des Aldo Manuzio, der zugleich der größte Verleger Italiens war. Hier wurden wertvolle alte Handschriften aus staubigen Folianten zuerst sorgsam abgeschrieben und dann die Worte mit Hilfe der Kopien an Setzkästen mit Bleilettern zusammengefügt, die mit einer großen Druckerpresse in einem gefälligen, leicht lesbaren Schriftbild zu Papier gebracht wurden, und zwar so oft, wie man es brauchte. Auf diese Weise konnten jeden Tag Bücher dutzendfach, ja womöglich zu Hunderten entstehen. Was früher für die meisten Menschen, die des Lesens mächtig waren, eine unbezahlbare Rarität gewesen war, verbreitete sich nach und nach in alle Welt. Auch Crestina hatte allein im letzten Jahr drei Bücher erwerben können, ein Werk über die Kräuterkunde, einen Band griechische Mythen und ein schmales Brevier, in dem alles Wissenswerte über die unterschiedlichsten Gifte zusammengefasst war.
»... ab omni parte foret, magni speciem glomeravit in orbis«, wiederholte Laura.
»Sehr gut«, sagte Isacco. »Deine Betonung lässt nichts zu wünschen übrig. Du machst Fortschritte.«
Mansuetta hörte das Rascheln der Landkarte auf dem Küchentisch und wusste, dass jetzt wieder Geographieunterricht an der Reihe war. Manchmal – so wie auch gerade jetzt – fragte sie sich, warum Isacco sie nicht dazurief. Sicher, sie war lange keine Schülerin mehr, und natürlich war ihm bekannt, dass sie schlecht sehen konnte. Aber er hätte sie ja wenigstens fragen können, ob sie einmal mit ihm
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