Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
betrachtete er den Anhänger auf Raffaeles Brust. »Ihr habt es gut! Eine eigene Reliquie!« Ehrfürchtig beugte er sich vor. »Was ist es denn? Der Knochensplitter eines Heiligen?«
»Nein. Etwas viel Wertvolleres. Das Blut unseres Erlösers.«
Dem Gondoliere fiel die Kinnlade herab. »Ihr scherzt, Domine !«
Doch Raffaele wirkte so ernst wie nie. »Mitnichten. Es ist die lautere Wahrheit. Ich schwöre es bei Gott dem Allmächtigen, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist.« Hoch aufgerichtet saß er auf der Bootsbank, sein Amulett umklammernd.
Antonio holte benommen Luft. Das Blut von Jesus Christus! »Wie bist du daran gekommen?«
»Es war nicht leicht und hat mich eine Stange Geld gekostet. Ich habe es aus Rom.«
»Dort gibt es die meisten Reliquien der Christenheit«, bestätigte der Gondoliere, einen Ausdruck sensationslüsterner Neugierde im Gesicht. Er hatte aufgehört zu rudern und stand breitbeinig auf der hölzernen Abdeckung am Ende der Gondel.
»In Rom gibt es eine Kirche, wo Stücke einer Jaspis-Säule aufbewahrt werden«, sagte Raffaele mit leuchtenden Augen. »Diese wurden im Jahre des Herrn 1233 von einem Kardinal namens Colonna, seines Zeichens päpstlicher Gesandter, von Konstantinopel dorthin gebracht und dienen seither der Anbetung und Verehrung.«
»Was ist das für eine Säule?«, fragte der Gondoliere atemlos.
Raffaele reckte sich. »An ihr wurde unser Herr Jesus Christus gegeißelt. Dort hat er sein Blut vergossen.« Er senkte verschwörerisch die Stimme. »Ich habe einem Priester, der in Geldnot war, genug geboten, damit er mich eines Nachts zu der Säule ließ. Ich nahm nur wenig von dem Stein, bloß ein paar Bröckchen, die ich mit dem Messer fortschaben konnte. An der Stelle, die dunkel vom Blut unseres Heilands war.«
Antonio bekreuzigte sich unwillkürlich, ebenso wie der Gondoliere, dem vor Staunen der Mund offen stand.
»Ich nehme die Wette an«, sagte Antonio hastig.
»Ach, ich weiß nicht.« Raffaele wand sich. »Ich mag es nicht hergeben.«
»Du glaubst doch sowieso nicht, dass ich die Wette gewinne.«
»Das mag stimmen. Aber der Herr wirkt immer wieder Wunder. So wie in jener Nacht, als er mir den Zutritt zum Blute Christi gewährte und mir damit den größten Wunsch meines Lebens erfüllte. Vielleicht zeigt Er dir einen ähnlich wundersamen Weg zu deinem Palazzo auf.«
»Du hast damit angefangen, also steh jetzt auch dazu!«, forderte Antonio den Alten auf.
»Tut es nicht, Domine!«, rief der Gondoliere aus. »Verwettet nicht diese kostbare, heilige Reliquie! Sie ist mehr wert als tausend Palazzi!«
»Auf jeden Fall mehr als ein paar kostenlose Vorstellungen auf meine alten Tage«, überlegte Raffaele. »Obwohl ... wenn ich alt bin, ich meine richtig alt –, vielleicht bin ich dann dringend darauf angewiesen, dass der Junge mir zu essen gibt und für mich spielt. Vielleicht hält mich dann gerade das über Wasser, während ich sonst jämmerlich verkommen müsste.«
»Ganz recht«, stimmte Antonio ihm sofort zu. »Alte Leute gehen vor die Hunde, wenn sich niemand um sie kümmert. Und auf mich kannst du dich immer verlassen. Ich bin ein guter Schauspieler, das sagst du selbst.«
»Auch wenn du deinen Palazzo hast und als Wettsieger die Reliquie am Ende auch noch bekommst?« Raffaele runzelte die Stirn. »Dann hätte ich nämlich nichts!«
»Keine Sorge. Du hast mich nicht im Stich gelassen, du warst mir ein Freund, als ich Arbeit brauchte. Umgekehrt würde ich dasselbe für dich tun.«
»Du meinst, mir Arbeit geben? Und wenn ich nicht mehr arbeiten kann?«
»Dann gebe ich dir dennoch zu essen.«
»Dein Wort darauf?«
»Mein Wort.«
»Schwöre es beim Grab deiner Mutter.«
»Ich schwöre.«
»Gut, dann setze ich die Reliquie. Die Wette gilt.« Raffaele streckte die Hand aus. »Schlag ein, mein Junge.«
Antonio tat es, und der Gondoliere gab einen Jammerlaut von sich angesichts dieser Leichtfertigkeit. Er schüttelte ein ums andere Mal den Kopf, während er weiterruderte, bis sie die Lagerhalle erreichten, die Raffaele in ein Theater umgewandelt hatte.
Antonio fühlte sich, als hätte er einen wichtigen Sieg errungen, obwohl es nichts weiter als eine dumme Wette war, zudem noch eine, bei der sich erst nach fünf unendlich langen Jahren erweisen würde, wer sie gewonnen hatte. Doch dann dachte er an das Blut Christi in Raffaeles silbernem Anhänger, und es schien ihm, als sei der größte Schatz der Welt in seiner Reichweite. Er musste nur das
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