Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
zurückwarf oder wenn sie beim Salbenkochen wegen der Herdhitze die Röcke schürzte. Oder Matteo bei den Händen fasste und ihn durch die Luft wirbelte, bis der Kleine vor Vergnügen kreischte. Wenn ihr Nachbar und Lehrer mitbekäme, dass sie und Matteo ohne Leiter in hohe Bäume stiegen und sich dort von Ast zu Ast hangelten, würde er ihr sicherlich nicht enden wollende Vorträge über die damit einhergehenden Gefahren halten und versuchen, ihr weitere Unternehmungen dieser Art auszureden. Folglich war es gut, dass er nie den Wunsch geäußert hatte, sie auf ihren Ausflügen zur Terraferma zu begleiten.
In Venedig gab es so gut wie keine Bäume, die man erklimmen konnte, auch keine weiten Felder, die zum Springen und Rennen einluden. Folglich waren sie auf ihre wöchentlichen Bootsfahrten zum Festland angewiesen, um ihr Verlangen nach dieser Art der körperlichen Freiheit zu stillen. Matteo hatte früh begonnen, es ihr gleichzutun, zumindest versuchte er es, wenngleich er nicht dieselbe Gelenkigkeit erreichte wie seine Schwester. Doch der Ehrgeiz, der ihn in allen Dingen des Lebens beflügelte, machte die fehlende Geschmeidigkeit wett, und so verstand er sich schon bald aufs Räderschlagen, Klettern und Balancieren. Er verlangte von Laura, dass sie ihm erklärte, wie man auf den Händen lief und aus dem Stand Überschläge vollführte, und er heulte jedes Mal vor Enttäuschung, wenn er es nicht ebenso hinbekam wie sie. Wenn sie ihm dann lachend entgegenhielt, dass er zum Ausgleich dafür viel schlauer sei als sie und dass sie außerdem Jahre benötigt habe, um all das zu beherrschen, wollte er das nicht gelten lassen und versuchte es wieder und wieder, bis er erschöpft im Gras zusammenbrach.
Mit derselben Beharrlichkeit beschäftigte er sich mit allem, was ihm Bewunderung abrang, und sein Gesichtsausdruck, mit dem er die frischen Fresken an der Außenfassade des Fondaco betrachtete, zeigte deutlich, wie brennend sein diesbezügliches Interesse war. Es war das erste Mal, dass er Gelegenheit bekam, sich aus der Nähe anzusehen, wie eine Freskenmalerei entstand, nachdem er schon seit längerer Zeit unzählige Fragen dazu gestellt hatte. Laura hatte ihm alles darüber erzählt, was sie wusste, und das war nicht gerade wenig – schließlich war sie ihrem Vater früher oft dabei zur Hand gegangen. Aber es zu hören oder es mit eigenen Augen zu sehen war zweierlei, und wer war sie, ihrem Bruder zu verwehren, mehr über die Arbeit Guido Monteverdis zu erfahren – seines Vaters, den er nie kennen gelernt hatte, außer aus den Beschreibungen seiner Schwester. Sie hatte ihn zu all den Orten mitgenommen, von denen sie wusste, dass ihr Vater dort gewirkt hatte. Sie hatte ihm Guido Monteverdis Fresken an Häusern und in Kapellen gezeigt und ihm die technischen Einzelheiten ihrer Entstehung erklärt, hatte ihm genau beschrieben, wie die Farben anzumischen waren und wie wichtig es war, schnell zu arbeiten, damit die Pigmente sich zuverlässig mit dem Untergrund verbanden.
Gern hätte sie ihm auch das Meisterwerk ihres Vaters gezeigt, an dem Haus, in dem sie gelebt hatten und in dem Matteo geboren worden war. Den herrlichen Rosengarten vor der weiten grünen Landschaft auf der Außenfassade, die Fabelwesen am Palazzo der Filacenovas, die Löwenwand im Inneren des Anbaus. Doch ein Brand hatte das Anwesen verwüstet und auch die Fassaden so stark geschwärzt, dass die Filacenovas alles neu hatten übermalen lassen. Abermals mit Fresken – vermutlich hatte Monna Pippa in ihrem Hang zu künstlerischer Präsentation darauf bestanden –, doch war die neue Bemalung fern jeder Aussagekraft und darüber hinaus scheußlich geschmacklos. Es waren einfach nur flach und ohne jede Perspektive hingepinselte Heilige mit dümmlichen Gesichtern, die einander ähnelten wie ein Ei dem anderen. Allein zu wissen, dass sich darunter noch die kunstvollen Landschaften und Fabeltiere Guido Monteverdis befanden, rief Wut in Laura hervor. Auf der anderen Seite verschaffte es ihr Genugtuung, denn nun konnte sich niemand, dem es im Grunde nicht zustand, noch an seinen Werken erfreuen.
Sie war den Filacenovas einmal bei einer Andata zu Ehren des heiligen Markus begegnet; es war noch nicht lange her. Zu voller Höhe aufgerichtet, den Kopf erhoben und ein gelassenes Lächeln auf den Lippen war sie ohne ein Wort an ihnen vorbeimarschiert, gemeinsam mit Crestina, Mansuetta und Matteo. Sie hatte die glotzenden Blicke der inzwischen teilweise
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