Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
bist du da. Du trägst all diese Verantwortung hier seit langem allein, doch wird sie dir nicht um vieles schwerer vorkommen, wenn ich fort bin?
Müdigkeit machte ihr das Denken schwer, und sie überlegte, was wohl geschehen würde, wenn sie in diesem Stuhl einschlief und nie wieder aufwachte.
Sei’s drum, dachte sie, während sie die Augen schloss. Sie würde Gott um Hilfe bitten und darauf vertrauen, dass er ihr auf die eine oder andere Weise gnädig wäre.
Laura reinigte rasch die fettigen Hände mit einem feuchten Tuch und schlüpfte aus dem verschmierten Kittel, bevor sie in den Verkaufsraum eilte. Ein sauberes Äußeres und fleckenlose Kleidung steigerten das Vertrauen der Kunden, das hatte Crestina ihr schon früh eingeschärft. »Der Blick auf den Verkäufer ist der erste Blick auf die Ware«, hatte sie gesagt, und Laura, die sich nach all dem Schmutz und Elend gar nicht oft genug waschen, kämmen und frisch ankleiden konnte, hatte diese Weisheit nur zu gern angenommen.
Sie blieb wie angewurzelt hinter der Theke stehen, als sie sah, wer gekommen war. Tatsächlich hatte sie damit gerechnet – oder genauer: es in einer Mischung aus Anspannung und Sorge befürchtet –, doch ihn nun wirklich hier stehen zu sehen war anders als alles, was sie sich vorher hatte ausmalen können.
Wie schon am Nachmittag schlug ihr das Herz bis zum Hals, und beide Hände wollten hochfahren und sich gegen den jagenden Puls pressen. Doch sie blieb mit locker verschränkten Armen stehen und rang um einen gefassten Gesichtsausdruck.
»Sei gegrüßt, Antonio Bragadin.« Ihre Stimme klang bei weitem nicht so forsch, wie sie es gern gehabt hätte. »Möchtest du etwas kaufen?«
Seine Augen musterten sie, dunkel in dem zwielichtigen Laden und so unergründlich wie das Lächeln, das um seine Lippen spielte. Er blickte sich um. »Du meinst Läusesäckchen, Brustwickel, Beinsalben, Entspannungselixiere, Duftwässcherchen und diesen Kram? Was könntest du mir denn anbieten, Laura Monteverdi?«
»Wie wäre es mit Brechwurz?«, gab sie zurück. »Oder Seife zum Auswaschen deines Mundes.« Diesmal war ihre Stimme fest und eine Spur spöttisch.
Er lachte mit zurückgeworfenem Kopf, dann wurde er unvermittelt ernst. »Wir haben uns lange nicht gesehen.«
»Dreieinhalb Stunden«, sagte sie prompt.
»Und davor dreieinhalb Jahre.«
Schweigen senkte sich zwischen ihnen herab, während sie einander anschauten und sich gegenseitig taxierten, als könnten sie so herausfinden, was der jeweils andere dachte. Unter seinem Blick wurde es Laura zuerst warm, dann heiß, und schließlich hielt sie die Stille nicht mehr aus.
»Was willst du?«, entfuhr es ihr.
»Mit dir sprechen. Hast du Zeit?«
Ihre Hände glitten nun doch an ihren Hals, und sie musste sich anstrengen, ganz normal weiterzuatmen. Unwillkürlich wollte sie über die Schulter blicken, ob jemand sie hörte, doch sie wusste, dass Crestina gut versorgt in ihrem Lehnstuhl saß und ein Nickerchen hielt. Mansuetta war mit Matteo draußen im Garten, die beiden genossen die letzten Sonnenstrahlen dieses Tages und hatten ihren Spaß bei einem Buch mit lustigen Bauernversen.
»Ich weiß nicht ... Ja.«
»Gut.« Sein Gesicht verzog sich, und im nächsten Moment nieste er heftig. Er schüttelte den Kopf, rieb sich die Nase – und nieste abermals, diesmal noch stärker als beim ersten Mal. Es folgte eine wahre Kanonade von Niesern, die schließlich in einem resignierten Schnauben endeten. »Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich wäre, aber es ist noch schlimmer geworden.«
»Was denn?«, fragte Laura perplex. »Hast du dich verkühlt?«
»Nein, es ist die Luft hier.« Er wischte sich die triefende Nase mit dem Handrücken ab. »Der Kräuterdunst. Das vertrage ich nicht, jedenfalls nicht in dieser geballten Form. Es war schon früher so. Was meinst du, warum ich nicht mehr hier arbeiten konnte?«
Richtig, er hatte damals damit aufgehört, und Laura hatte es nicht verstehen können.
»Ich sehe dir an, was du denkst«, meinte er mit leisem Ärger in der Stimme. »Du dachtest, ich hätte das schnelle Stehlen der harten Arbeit vorgezogen.«
Laura merkte, wie sie errötete. »Willst du darüber mit mir reden?«, versetzte sie spitz. »Dann lass dir sagen, dass ich zu wenig Zeit habe, mit dir herumzustreiten.«
»Ich hatte nicht vor, mit dir zu streiten«, wehrte er ab. »Dafür habe ich genauso wenig Zeit wie du.«
»Dann komm zur Sache; umso schneller kannst du hinterher wieder
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