Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
gehen.«
Ein weiteres dröhnendes Niesen entwich ihm, und er rieb sich mit unterdrücktem Fluchen Augen und Nase, bevor er sie bittend ansah. »Komm.«
»Wohin?«, fragte sie misstrauisch.
»Nach draußen. Nur raus hier. Wie soll ein Mensch in diesem ungesunden Klima reden können?«
Zögernd folgte sie ihm auf die Gasse hinaus. So dicht an ihn heranzutreten erfüllte sie mit neuer Unsicherheit. Merkwürdige Gefühle durchströmten sie, die nicht widersprüchlicher hätten sein können. Sie wollte gleichermaßen fliehen wie auch mit ihm gehen. Reden und schweigen. Ihn ansehen und wegschauen.
»Gehen wir ein Stück zusammen?«, fragte er höflich. »Ich begleite dich selbstverständlich hinterher wieder zurück.«
Sie nickte befangen und schritt neben ihm her durch die enge Gasse, die in Windungen zwischen den überkragenden Häusern hindurchführte. Sie gingen über den Markt und dann weiter zum Ponte di Rialto, den sie überquerten. Die ganze Zeit sprachen sie kein einziges Wort, und Laura hatte, was sie höchst eigentümlich fand, auch nicht den Hauch eines Bedürfnisses, eine Unterhaltung anzufangen. Es schien völlig ausreichend zu sein, einfach nur neben ihm herzulaufen und seine Gegenwart zu spüren. Sie war sich seiner enormen Körpergröße und Kraft bewusst, die sie dazu brachten, sich neben ihm winzig vorzukommen, obwohl sie selbst nicht gerade klein war. Wenn sie verstohlen einen Blick zur Seite warf, konnte sie aus den Augenwinkeln sein Gesicht sehen. Es war von gesunder Färbung, gebräunt und makellos, bis auf die gezackte Narbe auf seiner Wange, die ihm ein leicht gefährliches Aussehen verlieh. Seine Kleidung war, wie sie jetzt deutlicher erkennen konnte als am Nachmittag, solide und gut gearbeitet, nichts daran war billig oder aus zweiter Hand. Wams und Beinkleider sahen ebenso wie die Lederstiefel danach aus, als seien sie passend für ihn gefertigt worden.
Der Kanal strömte unter ihnen dahin, in der Abendsonne glitzernd, als hätte sich Gold in das Wasser gemischt. Die Palazzi entlang des Kais leuchteten wie gemalt vor dem violetten Himmel, mit ihren Prachtfassaden aus istrischem Marmor und mit ihren spitzenartig überstehenden Dachsimsen. Ihre Fenster brachen das Licht wie Edelsteine, in allen Farben, die den Glaskünstlern von Murano zu Gebote standen.
Sie erreichten das gegenüberliegende Ufer. Boote trieben vorbei, breite Kähne und schmale, lang gestreckte Gondeln sowie schwerfällige Traghetti, die von mehreren Ruderern fortbewegt wurden. Einmal sahen sie auch ein Schiff, auf dem sich eine Gesellschaft befand. Elegant gekleidete Menschen in ausgelassener Stimmung saßen auf Bänken unter dem Baldachin. Übermütiger Gesang und Gelächter wehten herüber.
Unvermittelt fragte Laura sich, wie es wohl wäre, auch einmal zu einer Feier zu gehen. Zu tanzen, zu singen, unter vielen fröhlichen, gut gelaunten Menschen den Abend zu genießen. Mit einem Mal wuchs eine Sehnsucht in ihr, die sie nicht benennen konnte und die sie bestürzte, weil sie so stark war.
Sie gingen schweigend weiter und überquerten schließlich die Brücke des Rio dei Santi Apostoli. Auf dem dahinter liegenden Kirchplatz herrschte die um diese Zeit übliche Geschäftigkeit. Die Menschen strebten nach Vollendung ihres Tagwerks heimwärts oder holten frisches Wasser am Brunnen. Manche standen in Gruppen beisammen und unterhielten sich, hier und dort wurde lautstark geschimpft, vereinzelt war das Schreien eines Säuglings oder Hundegebell zu hören.
Wie von allein schienen ihrer beider Schritte von dort aus in Richtung Madonna dell’Orto zu führen, und während Laura Antonio durch das Gassengewirr und über die Brücken folgte, spürte sie, wie ihre Aufregung wuchs. Als sie den Rio dell’Orto überquerten, begann Antonio zu reden.
»Laura, heute im Fondaco dei Tedeschi ...«
»Ich habe nicht absichtlich gelauscht«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich stand nichtsahnend draußen auf dem Gerüst und wollte mir Tizianos Fresken ansehen, und dann hörte ich Männer ins Zimmer kommen.« Das war die schlichte Wahrheit, auch wenn sie dabei die Tatsache außer Acht ließ, dass sie Antonios Stimme augenblicklich erkannt hatte.
»Ich dachte nicht, dass ihr so lange reden würdet. Und den Inhalt des Gesprächs kannte ich ja vorher auch nicht.«
»Sonst hättest du dich sicher gleich gezeigt, wie?«, fragte Antonio trocken.
Laura stolperte über einen Stein, und er ergriff ihren Arm, um sie zu stützen.
Dort, wo seine Hand sie
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