Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Genugtuung verstärkte sich, doch ebenso sein schlechtes Gewissen. Möglicherweise hätte ein wenig Kompromissbereitschaft seinerseits die Situation gar nicht erst auf diese Weise eskalieren lassen. Zuane war ein verträumter, unfähiger Trottel, aber er besaß auch Geld und Einfluss. Vielleicht wäre er genau derjenige gewesen, den Laura gebraucht hätte, falls er selbst im Feld geblieben wäre. Viel hatte daran schließlich nicht gefehlt.
»Der Jude ist tot«, sagte Oratio unvermittelt. »Sie war bei ihm, als er starb.«
Antonio ging auf den jüdischen Friedhof am Lido und hielt an Mosès Grab stumme Zwiesprache mit seinem alten Weggefährten. Mosè hatte als Erster gesehen, dass mehr in ihm steckte als ein Beutelschneider. Vielleicht hatte er auch nur geglaubt, Potenzial in ihm zu erkennen, was sich dann, in Gang gesetzt durch die schiere Kraft des Vorstellungsvermögens, entwickelt und vervollständigt hatte.
Wie auch immer, Mosè hatte Macht und Mittel mit ihm geteilt, sodass Antonio zu dem hatte werden können, was er heute war.
Die Julisonne fiel auf den Grabstein, in den auf Hebräisch eine Inschrift eingemeißelt war, Worte, die Antonio nicht lesen konnte. Sicherlich war es das, was auch Christen auf ihre Grabsteine schrieben, so wie sie es seit Hunderten von Jahren taten.
Mosé war kurz vor seinem fünfundsechzigsten Geburtstag gestorben. Wäre er nicht krank geworden, hätte er noch ein paar gute Jahre erwarten können. Doch er hatte ein erfülltes Leben gehabt, zumindest in geschäftlicher Hinsicht. Im selben Moment, als Antonio das dachte, begriff er, wie wenig das im Grunde war. Es war nicht unbedeutend, ganz sicher nicht. Aber es reichte nicht zum Glück.
Er dachte an die elenden und einsamen Wochen, die er nach seiner Gefangennahme mit hämmerndem Schädel in Mailand im Gefängnis zugebracht hatte, und daran, wie oft er dort mit sich selbst ins Gericht gegangen war. Hätte er auf Laura gehört, wäre er inzwischen ihr Mann. Er wäre nur halb so reich wie jetzt, aber dafür hätte er sie gewonnen. Sie hätte nicht fliehen müssen, schon gar nicht aus diesen Gründen. Mit Leichtigkeit hätte er sie davor bewahren können, und es war auch seine Schuld, dass sie all die Ängste ausgestanden hatte, die sie zweifellos vor und während ihrer überstürzten Flucht durchlitten haben musste.
»Was hättest du getan, alter Freund?«, murmelte er, den Blick auf den Grabstein gerichtet.
»Wärst du gegangen? Oder geblieben?«
Vermutlich gegangen, beantwortete er sich gleich darauf in Gedanken selbst seine Frage. Mosè war mit Leib und Seele Händler gewesen, und um das zu sein, musste man mit einem nicht unwesentlichen Teil seines Charakters ein Spieler sein. Nur wer sich ganz und gar dieser Sache verschrieb, konnte Gewinne erwarten, die einen schwindeln machten ob ihrer Höhe. Nur solche Gewinne ermöglichten es dem Spieler, vielleicht anschließend zu überlegen, ob es genug war. Genug zum Aufhören.
Doch gleich darauf dachte er: Es ist nie genug!
Geradeso, wie er es Laura gegenüber in Worte gefasst hatte. Bitterkeit bemächtigte sich seiner, als er begriff, dass er heute nicht anders handeln würde als damals, obwohl er erfahren hatte, wie tief die Verletzungen sein konnten, die solche Entscheidungen mit sich brachten. Es lag zu tief in seinem Wesen begründet. Laura hatte das erkannt, und folgerichtig hatte sie ihn verlassen.
Dennoch würde er sie nicht aufgeben, nicht, solange er und sie lebten. Er würde sie suchen und sie erneut vor die Wahl stellen. Er wollte beides, sie und den Erfolg, und er würde einen Weg finden, das zu verwirklichen.
Auch hierin war er Mosè ähnlich, überlegte Antonio. Nie hatte der Kaufmann in seinem Bemühen nachgelassen, seine Familie zurückzugewinnen, all die Jahre nicht.
Ob es ihm gelungen war, sich am Ende wenigstens mit seinem Sohn auszusöhnen? Antonio wünschte es ihm von Herzen.
» Schalom , mein Freund«, sagte er leise. »Und danke für alles.«
Die blonde Frau wirkte in sich versunken. Sie stand vor dem Spiegel und lächelte sich zu, und bei dem Anblick fühlte Antonio sich unwillkürlich an Narcissos erinnert, jenen Jüngling aus der griechischen Mythologie, der nach der Strafe durch Nemesis auf immer dem eigenen Bildnis verfallen war. Einen Augenblick später nahm die Frau wahr, dass jemand im Raum war. Sie erstarrte und drehte sich um. Über ihr eben noch lächelndes Gesicht legte sich eine Maske der Ausdruckslosigkeit.
»Messèr Bragadin«, sagte
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