Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Titelnachfolger stand er weit abgeschlagen hinter zwei älteren Brüdern sowie seinem Neffen, dem Sohn von Alfonso D’Este und dessen Frau Lucrezia Borgia. Doch er war ganz entschieden kein unwürdiger Niemand.
»Ich möchte Euch dafür danken, dass Ihr den Gefangenenaustausch organisiert habt«, sagte er förmlich.
Querini winkte ab. »Eugenia, wärst du so gut, die Köchin anzuweisen, eine Kleinigkeit herzurichten?«
»Natürlich«, murmelte sie mit zur Seite gewandtem Gesicht, während sie zur Treppe eilte.
»Erzählt«, bat Querini, bereits auf dem Weg in sein Gemach. Bartolomeo hatte die Fenster zur Loggia geöffnet, und vom Kanal her waren die Geräusche emsiger Geschäftigkeit zu hören. Antonio trat an eine der offenen Türen und stützte sich auf die marmorne Brüstung, von wo aus er das bunte Treiben der Boote auf dem Kanal betrachtete. Überall waren Menschen unterwegs. Die ganze Stadt schien in Bewegung zu sein, alles rüstete sich gegen drohende Kämpfe und richtete sich ein auf Besatzung und Not. Doch daneben war auch eine Stimmung wie von trotzigem Aufbruch spürbar, eine wehrhafte Bereitschaft, bis zum Letzten für die Freiheit der Republik einzutreten, sowie der ungebrochene Wille zu siegen.
Emotionen dieser Art waren auch bei Querini spürbar, der trotz seiner offensichtlichen Übermüdung mit energischen Schritten auf ihn zukam und an seine Seite trat.
»Wie ist es Euch ergangen? Ihr seid verwundet worden, wieder einmal.«
»Ja«, sagte Antonio knapp.
»Tragt Eure Wunden als Zierde, denn genau das sind sie.«
Antonio war nicht unbedingt dieser Meinung, doch darüber zu debattieren war müßig.
»Nachdem ich aus dem Gefängnis freigekommen war, suchte ich Leonardo da Vinci auf«, berichtete er.
»Tatsächlich? Was für ein Mensch ist er?«
Antonio dachte an den immer noch gut aussehenden Mann in den Fünfzigern, der ihn in seinen Arbeitsräumen empfangen und ihm eine halbe Stunde seiner Zeit geschenkt hatte, bevor er sich wieder seinen Forschungen zugewandt hatte.
Antonio zuckte die Achseln. »Ich bin alles andere als ein Experte in diesen Fragen, aber ich vermute, er ist in vielen Disziplinen ein Genie. Ich sah in seinen Räumen eines seiner Bilder, die Mona Lisa .«
»Ein Bild, das gleich nach seiner Fertigstellung berühmt war«, bestätigte Querini. »Es gibt viele Kopien davon. Ein Meisterwerk. Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen, um es zu betrachten.«
»Derzeit stellt er Studien zur Anatomie an, desgleichen zur Hydraulik. Ein junger Mann war bei ihm, ein gewisser Francesco Melzi.«
»Ist er sein ...«
»Schwer zu sagen«, meinte Antonio. »Ich habe ihn nicht danach gefragt.« Er räusperte sich. »Um es kurz zu machen: Leonardo hörte mir aufmerksam zu, aber er war nicht interessiert. Die Sache Venedigs, so meinte er, sei auf lange Sicht verloren.« Antonio grinste flüchtig. »Ich habe ihn auf David und Goliath verwiesen, als Beispiel für Venedigs Kampfesmut trotz der drückenden Überlegenheit der Liga, aber das erheiterte ihn nur. Ich winkte mit Geld, doch daraufhin meinte er, er sei zu alt und zu vernünftig, um noch nach dem großen Mammon zu schielen. Mehr als einen König könne ein Mann nicht für sich gewinnen. Er habe den seinen nun gefunden, und dieser trage den Namen Ludwig.«
Querini hob die Schultern. »Ihr habt es versucht, mehr konnte niemand erwarten. Offen gesagt glaubte ich ohnehin nicht daran, dass er sich überzeugen lässt. Ein Jammer ist es dennoch. Ich las kürzlich Paciolis De divina proportione , von Leonardo illustriert. Kein menschlicher Geist ist leuchtender als dieser.« Querini seufzte, während er sich in einem der Lehnstühle niederließ. »Macht Euch nur keine Gedanken deswegen, mein junger Freund. Wir werden auch ohne ihn weiter nach dem Sieg streben.« Um seine Lippen spielte ein schwaches, aber zufriedenes Lächeln. »Nun, da Ihr wieder hier seid, scheint mir, als sei die ganze Partie erneut offen.«
»Ihr übertreibt.«
»Keineswegs. Es geht mir um die Symbolik. Ihr habt Euch infolge Eures Muts und eines glücklichen Geschicks als unbezwingbar erwiesen – warum soll es der Serenissima nicht ebenso ergehen?«
»Oh. Nun, dann mögt Ihr recht haben. Gebe es Gott.«
»Ihr zumindest habt Euer Bestes gegeben, Bragadin.«
»Das tun wir sicher alle in diesen Tagen.«
»Es scheint ganz so«, meinte Querini. Seine Miene drückte leichte Besorgnis aus. »Sogar mein Sohn meint in seinem jugendlichen Überschwang, gegen den Feind zu
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