Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
kleiner als die Frau und von gedrungener, kräftiger Gestalt. Seine Arme waren im Vergleich zum Körper unverhältnismäßig lang, sie baumelten seitwärts vom Körper so tief herab, dass die schaufelartigen Hände fast die Knie zu berühren schienen.
Hinter ihm bewegte sich Laura im Schlaf. Antonio blickte flüchtig über die Schulter zurück, besorgt, dass sie in der hereinflutenden Nachtluft womöglich frieren könnte. Unruhig warf sie sich herum, offenbar hatte sie einen lebhaften Traum.
»Sie sind da«, murmelte sie, immer noch schlafend, aber mit angstvoll verzerrtem Gesicht, als würde ein schlimmer Alb auf ihr lasten. »Fort! Fort mit euch!«
Antonio wollte das Fenster wieder schließen. Den Griff schon in der Hand, blickte er ein letztes Mal hinaus. Zu der Frau und dem Mann, die unten im Hof standen, hatte sich ein zweiter Mann gesellt. Er war barhäuptig; das Barett trug er in der Rechten. Ein weiter Reisemantel umhüllte seine schlanke, aufrechte Gestalt. Während er sich mit Schwung den Hut aufsetzte, blickte er nach oben. Seine Blicke glitten über die Fassade, bis sie sich mit denen von Antonio trafen.
»Mein Gott«, flüsterte Antonio. Der Impuls, das Fenster zu schließen, war übermächtig. Vielleicht war Cattaneo dort unten nur ein böser Spuk, den er mit einer kurzen Bewegung zum Verschwinden bringen konnte. Doch seine Hand war wie gelähmt. Sie lag am Griff des Fensters, und er konnte nichts weiter tun, als hinabzustarren.
Hinter ihm war Laura aus dem Bett geschlüpft. Sie wirkte hellwach. Eines der Laken nachlässig um sich geschlungen, trat sie auf bloßen Füßen zu ihm ans Fenster. Auf ihrem Gesicht zeigte sich keine Überraschung, als sie hinunterschaute und die drei Menschen erblickte. Es schien fast, als hätte sie erwartet, sie dort unten zu sehen.
Die Frau hatte ebenfalls den Kopf gehoben. Laura streckte der Frau die Hand entgegen, geformt zur Manu cornuto , dem Zeichen zur Abwehr des Bösen.
Im Licht der Fackeln war deutlich das sardonische Lächeln zu sehen, mit dem die Frau auf Lauras Geste reagierte. Giacomo Cattaneo hingegen lachte nicht. Seine Augen glühten wie dunkle Kohlen, und seine Hand lag am Griff seines Schwertes. Komm nur , schien seine Haltung zu signalisieren. Sein Diener Silvio stand wie ein zu kurz geratener Schatten neben ihm, einen ähnlichen Ausdruck im Gesicht wie die Frau.
Antonio wandte sich vom Fenster ab und eilte zu dem Schemel, auf dem seine Kleidung lag. Als er nach seinem Hemd griff, hielt Laura ihn am Arm fest.
»Was hast du vor?«
»Ihn zu töten, was sonst? Höchste Zeit, dass ich ihm mein Schwert zu schmecken gebe. Dachtest du etwa, ich lasse ihn am Leben, nach allem, was er dir und Carlo und Valeria angetan hat? Ich warte seit Jahren darauf, dass er wieder in unserem Dunstkreis erscheint, damit ich endlich sein Blut fließen sehen kann! Und die Frau! Sie ist seine Schwester, die Nonne, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Laura tonlos. »Scheint so, als hätte sie es doch noch geschafft, dem Kloster zu entkommen. Aber zum Töten ist nicht die richtige Zeit. Nicht heute Nacht.«
Das Fenster stand immer noch offen. Kälte strömte herein, und Antonio sah, wie sich auf Lauras Armen eine Gänsehaut bildete. Irgendwo in einem der benachbarten Zimmer schlug eine Tür; es hatte sich heftiger Durchzug gebildet. Laura eilte zum Fenster. Ohne noch einmal hinauszusehen, schloss sie zuerst den Laden und dann den Fensterflügel.
»Für diese offene Rechnung gibt es nur eine richtige Zeit«, sagte Antonio, während er eilig das Hemd überstreifte. »Und zwar jetzt.«
»Nein, du irrst dich!«
»Das werden wir sehen.«
Unbeirrt zog er sich an. Hastig zerrte er die Stiefel über die Füße und fluchte, weil das Leder noch feucht von der Reise war und seinen Bemühungen Widerstand bot. Mit einer einzigen fließenden Bewegung legte er das Schwertgehenk um und schloss den Gurt.
Schweigend blieb Laura beim Bett stehen, das Haar eine wüste rote Wolke um ihren Kopf, die Augen unergründliche Seen. Sie hinderte ihn nicht daran, die Tür zu öffnen, fast so, als hätte sie sich damit abgefunden, dass er Cattaneo zum Kampf herausfordern wollte.
Er presste sie kurz an sich und küsste sie hart auf den Mund, was sie sich reglos gefallen ließ, dann hastete er zur Treppe. Auf halbem Wege rannte er in einen Lakaien hinein, der mit einem Nachttrunk in Richtung der Schlafkammern unterwegs war. Durch den Zusammenprall taumelte der Diener zur Seite, Krug und Becher rutschten
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