Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
warf einen kurzen, aber deutlich irritierten Blick auf die große irdene Schüssel, die in der Mitte der Tafel vor sich hindampfte.
»Keine Sorge«, sagte Mansuetta. »Da ist nur echter Fisch drin.« Sie tat ihm einen Nachschlag auf, über den er sich nachdenklich kauend hermachte. Nach zwei, drei Bissen befand er den Eintopf für ebenso wohlschmeckend wie bei der ersten Portion und steigerte das Tempo beim Essen.
»Ich nehme gerne auch noch etwas«, sagte Raffaele launig, während er Mansuetta seinen leeren Teller hinschob. »Ob Fisch oder Frosch – ich habe schon Schlimmeres gefressen. Erzählte ich schon von den wochenlangen Martern, die ich in der Gefangenschaft zu erdulden hatte, unter diesem grausamen mameluckischen Bey , dessen höchstes Vergnügen darin bestand, zur Verköstigung der Kerkerinsassen eine große Menge schleimige, faulige ...«
Mansuetta unterbrach ihn. »Wir sind bei Tisch.«
»Oh, gewiss. Verzeiht!« Reumütig lächelnd beugte Raffaele sich über seinen Teller.
Wissbegierig ließ Matteo den Löffel sinken. »Schleimige, faulige was ?«
»Frag nicht so viel, iss auf«, befahl Piero. Er selbst löffelte langsamer und runzelte dabei die Stirn. Anscheinend hatte Raffaele seine Fantasie auf wenig appetitanregende Weise beflügelt.
Matteo griff das davor erörterte Thema wieder auf. »Wenn ihr in den Krieg zieht, werdet ihr vielleicht totgeschossen. Aber das ist nicht alles. Das Essen ist miserabel, und man muss in kleinen stinkenden Zelten schlafen.«
»Woher willst du Knirps das denn wissen?«, gab Oratio zurück.
»Antonio hat es mir erzählt«, trumpfte Matteo auf. »Außerdem habe ich mit meinen eigenen Augen totgeschossene Soldaten gesehen. Sogar welche, die geköpft waren.« Er holte Luft. »Es sah scheußlich aus! Es gibt nichts Dümmeres und Überflüssigeres als den Krieg!«
Piero räusperte sich, offenbar hielt er es für angebracht, seinem Schüler eine Lektion in Kriegsphilosophie zu erteilen. »Schon Platon bezeichnete Krieg in den Leges als notwendiges Übel, um das der Staat zuweilen nicht herumkommt, und auch Aristoteles nennt in der Politica Gründe, die den Krieg rechtfertigen.«
»Du meinst, dazu gehört auch, sich köpfen zu lassen?« Matteo blickte seinen Hauslehrer skeptisch an.
Piero räusperte sich abermals. »Ja, nun, wo gehobelt wird, fallen Späne.«
»Das war schon bei David und Goliath so«, setzte Raffaele nickend hinzu.
»David hätte Goliath auch die linke Wange hinhalten können!«, widersprach Matteo.
»Hört, hört, wie bibelfest der Kleine ist«, warf Oratio belustigt ein.
»Hast du denn etwa diesem Gassenjungen neulich die linke Wange hingehalten?«, wollte Piero wissen.
Mansuetta richtete sich alarmiert auf. »Welchem Gassenjungen?«
»Das war nur ein dünnes kleines Bürschchen«, erklärte Tomàso in wegwerfendem Ton. »Kaum halb so groß wie Matteo. Er hatte es auf den Kuchen abgesehen, den Messèr Fioravante ihm gerade vorher gekauft hatte.«
»Ich hätte eingreifen müssen«, rief Piero betreten aus. »Aber es ging so schnell!«
»Hat er dich verletzt?«, erkundigte Mansuetta sich bei Matteo.
»Ich hielt den Kuchen fest, und da gab er mir eine Backpfeife«, räumte Matteo widerstrebend ein. Er schluckte, doch dann reckte er sich nicht ohne Stolz. »Ich wehrte mich und verpasste ihm ebenfalls eine. Er rannte davon.«
»Aber er hat den Kuchen mitgenommen«, ergänzte Tomàso vergnügt. »Und an der nächsten Ecke hatte er ihn sogar schon aufgefressen, so ausgehungert war er.«
Piero bedachte ihn mit missbilligenden Blicken. »Das hättest du verhindern können.«
Tomàso hob eine Braue. »Dass er Hunger hatte?«
Piero schnaubte. »Du hättest den Kerl schnappen und ihm eine Abreibung verpassen müssen.«
»Wozu denn?«, fragte Tomàso gelassen.
»Das fragst du noch?« Piero stach empört mit dem Löffel in die Luft. »Wozu sonst stehst du in Messèr Bragadins Diensten?«
An diesem Punkt der Unterhaltung mischte Raffaele sich ein. »Manchmal gilt einfach das Gesetz des Schnelleren.« Der Alte rülpste dröhnend, dann ließ er einen nicht minder lauten Furz hören, als wolle er auf diese Weise seine Worte bekräftigen.
Die Zwillinge schienen derselben Ansicht zu sein, folglich hielt Mansuetta es für angeraten, nichts mehr zu sagen. Wenn ein Kind aus Hunger raubte, war das traurig genug. Es dafür auch noch zu strafen war ungleich schlimmer.
Sie kannte mittlerweile jenen Teil von Lauras Vergangenheit, den ihre Schwester mit den
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