Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
befasste, musste man einen tieferen Sinn dahinter vermuten, denn er kam keineswegs im Spaß auf solche Ideen.
»Das frage ich mich ja auch«, warf Piero ein. »Wozu sollen sie gut sein?«
»Man kann damit rechnen«, wiederholte Matteo ungeduldig. »Ebenso gut wie mit positiven Zahlen. Sie ergänzen einander.«
»Stimmt das?«, wollte Mansuetta wissen. »Wozu genau benutzt man sie denn?«
Piero warf die Arme in die Höhe. »Er hat versucht, Gleichungen damit zu lösen.«
»Dritten Grades«, hob Matteo hervor. »Und es wird mir eines Tages noch gelingen, du wirst schon sehen!«
Piero starrte ihn an und schluckte. Nach und nach nahm sein Gesicht einen bedrückten Ausdruck an, und er nickte langsam.
»Ja«, sagte er. »Ja, ich glaube, du hast recht, mein Junge. Wenn ich es nicht begreife, bedeutet das noch lange nicht, dass du es nicht begreifst. In deinem Kopf scheint mehr Platz zu sein für solche Dinge. Wie sonst könnte ein Knabe deines Alters das Liber abacci von Meister Fibonacci beherrschen und verfeinern?« Er wandte sich an Mansuetta. »Ich fürchte, meine Tage hier sind bald gezählt, Monna Mansuetta. Er steht davor, seinen Lehrer in den Schatten zu stellen.«
»Keineswegs«, sagte Mansuetta ungerührt. »Wenn er Euch in der Algebra überflügelt, bringt Ihr ihm das Lautespielen bei. Später mag er dann die Jurisprudenz oder die Medizin erlernen. Aber vorher zeige ich ihm, wie man einen anständigen Fischtopf zubereitet.« Sie bedachte Matteo mit einem breiten Lächeln. »Die Küchenmagd ist heute krank. Du kommst gerade recht, um deiner Schwester beim Kochen zu helfen.«
Die Runde, die sich wenig später im Speiseraum zum Mittagsmahl versammelte, war vollzählig bis auf den Hausherrn und seine Gattin. Mansuetta fragte sich wie so oft anlässlich solcher Gelegenheiten, wann wohl Laura und Antonio endlich wieder in Venedig eintreffen würden. Das Osterfest war ereignislos verstrichen, und all die köstlichen Speisen, die Mansuetta in Erwartung der beiden vorbereitet hatte, waren längst aufgegessen. Dafür hatten die vielen Männer des Haushalts mit Leichtigkeit gesorgt. Sie waren allesamt mit bestem Appetit gesegnet, besonders die gefräßigen Zwillinge sowie Piero Fioravante, der sich vor allem bei Süßspeisen in ein Fass ohne Boden zu verwandeln schien. Auch die Küchenmagd aß gerne und reichlich, desgleichen der junge Maler Tiziano, der an mindestens zwei Tagen in der Woche vorbeikam, um an den Fresken zu arbeiten – und eine von Mansuetta zubereitete Mahlzeit zu verzehren.
Sogar Matteo sprach in den letzten Wochen dem Essen beherzter zu als je zuvor. Er war im Begriff zu wachsen, einen Schuss nach oben zu tun , wie Raffaele Correggio es nannte.
Antonios alter Gefolgsmann war den jungen Leuten, mit denen er zusammen unter einem Dach lebte, aufrichtig zugetan, was sich zumeist darin äußerte, dass er regelmäßig zu den Mahlzeiten Anekdoten aus früheren Zeiten auftischte. Seine ruhmreichen Jahre als Theaterintendant fanden ebenso Erwähnung wie seine abenteuerlichen Kriegserlebnisse. In glühenden Farben und mit meist vollem Mund schilderte er, wie er diverse Söldnerheere kommandiert hatte und wie unerbittlich er gegen seine Feinde zu Felde gezogen war, »genau wie mein Großvater, der weltberühmte Condottiere«. Er berichtete von Seeschlachten und Feuersbrünsten, von blutigen Scharmützeln mit den Osmanen, von Kämpfen Mann gegen Mann, aus denen er Narben davongetragen hatte, die er den Knaben bereitwillig zeigte. Sogar der Hauslehrer hörte gebannt zu, wenn Raffaele mit seiner tragenden Stimme von donnernden Kanonen, orkanartigen Stürmen und mordgierigen Türkenbanden fabulierte. Es war fast, als stünde der Alte auf einer Bühne, mit einem Stück, das sein Leben war.
»Nächstes Jahr bin ich alt genug, dann gehe ich auch in den Krieg«, erklärte Oratio mit leuchtenden Augen.
»Ich auch«, pflichtete Tomàso ihm bei. »Ich kann es kaum erwarten, endlich gegen die verfluchten Kaisertruppen zu ziehen!«
»Und gegen die widerlichen Froschfresser«, ergänzte sein Zwillingsbruder.
»Wer sind die Froschfresser?«, wollte Matteo wissen.
»Die Franzosen«, sagte Raffaele. »Frösche stehen als Delikatesse auf ihrem Speiseplan.«
Oratio und Tomàso gaben unisono ein würgendes Geräusch von sich, ohne auch nur einen Augenblick beim Essen innezuhalten.
»Es heißt, sie sollen gar nicht übel schmecken«, meinte Mansuetta. »So ähnlich wie Fisch.«
Piero ließ den Löffel sinken. Er
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