Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
sehe?«
»Ein weiteres Los, das wir teilen.« Er tippte gegen seine schwarze Augenklappe, hinter der sich, wie Mansuetta wusste, eine narbige Höhle verbarg. Sie fragte sich, wie er angesichts all seiner Entstellungen diesen unverzagten Humor hatte bewahren können. Jedes Mal, wenn sie ihn traf, hatte er einen Scherz auf den Lippen, und er ließ sich durch keine noch so lästige Widrigkeit die gute Laune verderben. Wärme stieg in ihr auf, während sie ihn betrachtete, und sie fragte sich nicht zum ersten Mal, was er wohl in ihr sah.
Giovanni räusperte sich. »Auf der Piazza findet eine Zirkusaufführung statt, die würde ich gerne mit Euch besuchen. Es soll gute Artisten geben. Seiltänzer und Jongleure, Messerwerfer und Schlangenmenschen. Es heißt, sie haben sogar einen Elefanten, der auf den Vorderbeinen laufen kann.«
Mansuetta hörte ihm staunend zu. Sie hatte noch nie einen Elefanten gesehen, jedenfalls keinen echten. Ihr Herz klopfte noch schneller, und sie erinnerte sich daran, wie glühend sie damals Laura beneidet hatte, als diese mit Crestina ins Theater gegangen war. Sie hatte zu Hause bleiben müssen, weil Matteo so geweint hatte, und zu allem Überfluss hatte jener Abend wegen des schlimmen Brandes im Fondaco dei Tedeschi unselig geendet. Doch sie hatte das Gefühl der Vorfreude nicht vergessen. Ein ähnliches Gefühl erfüllte sie jetzt, nur dass es noch viel stärker war.
Giovanni breitete die Hände aus. »Und ich würde Euch ... ähm, hinterher zur Ombretta einladen.«
»Ich gehe gern mit Euch!«, platzte sie heraus.
»Das ist schön«, entfuhr es ihm.
Beide lächelten einander an, unsicher und ein wenig zittrig. Mansuetta spürte es mehr, als dass sie es sah, denn die Brille hing nach wie vor an der Kordel. Etwas hatte sich zwischen ihnen geändert, das merkte sie. Ein Zirkusbesuch und eine Ombretta – das war nicht dasselbe wie eine Messe oder eine Andata.
Oratio kam aus dem Haus zurück. Neugierig blickte er zwischen Mansuetta und Giovanni hin und her. »Wollen wir erst später los?«
»Nein«, sagte Mansuetta hastig. Sie wollte es hinter sich bringen, nachdem sie bereits so lange darauf gewartet hatte. Das hatte schon Crestina ihr beigebracht: Vorhaben, die lästig waren, sollte man schnellstens erledigen. Und Vorhaben, bei denen man fürchtete, sie niemals zu schaffen, noch schneller.
Sie ließ sich von Oratio in die Gondel helfen.
Giovanni blickte von der Fondamenta aus auf sie herunter. »Wenn Ihr wollt, begleite ich Euch bei Eurer Besorgung«, bot er an.
»Das ist nicht nötig.«
Ihre Absage schien ihn zu enttäuschen. Offensichtlich hatte er gehofft, sich noch eine Weile mit ihr unterhalten zu können.
»Es ist nur ein lästiger Pflichtbesuch bei Verwandten«, sagte Mansuetta eilig. »Kommt lieber heute zur Vesper, ja?«
»Natürlich komme ich!« Er winkte ihr nach, während die Gondel bereits über den Kanal davontrieb.
Mansuetta hätte ihn nur zu gern mitgenommen. In seiner Anwesenheit hätte sie sich zweifellos sicherer gefühlt. Sie fürchtete sich nicht vor körperlichen Übergriffen – schließlich hatte sie Oratio als Beschützer –, sondern vor dem Ungewissen, das im Haus des reichen und angesehenen Prokurators Marcello Querini auf sie wartete. Ständig spielte sie im Geiste durch, wie es ablaufen könnte. Ob der Prokurator allein war? Möglicherweise war auch seine Schwester dort, die spitzzüngige blonde Eugenia, oder sein Sohn Zuane. Oder dieser schweigsame Bartolomeo, der stets im Hintergrund zu lauern schien, wenn ein Mitglied der Familie auftauchte.
Vielleicht führte man sie in den Portego, wo, wie sie wusste, das Bildnis von Angelica Querini hing, der Gattin des Hausherrn. Sie malte sich aus, wie sie auf das Porträt zeigte und ganz beiläufig fragte, wer darauf abgebildet war. Danach könnte sie dann, ebenso beiläufig, auf ihre Mutter zu sprechen kommen, ihre richtige Mutter, die auch Lauras Mutter war – Anna Monteverdi, die Frau des Freskenmalers. Und darauf, dass diese Anna Monteverdi große Ähnlichkeit mit Angelica Querini hatte – weil beide Frauen Schwestern waren. Dieser Umstand konnte Marcello Querini nicht unbekannt sein. Er musste es einfach wissen. Und ebenso musste er wissen, auf welche Weise das Schicksal beider Frauen mit dem von Crestina verknüpft war. Am Schluss würde sie ihn geradeheraus fragen, wo sich seine Frau befand. Und Crestina.
»Wir sind da, Monna Mansuetta.« Oratio ließ die Gondel gegen die Stufen der
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