Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Fondamenta treiben. Der Palazzo der Familie Querini erhob sich in all seiner Pracht vor dem strahlend blauen Himmel, ein einschüchterndes Bauwerk, geschaffen von dem berühmten Architekten, der auch den Uhrturm auf der Piazza erbaut hatte. Mansuetta versuchte, sich an den Namen zu erinnern, den Isacco ihr irgendwann einmal genannt hatte, doch ihr Kopf war gähnend leer. Vor lauter Aufregung brachte sie es nicht einmal fertig, von der Bank aufzustehen. Sofort war Oratio zur Stelle, um ihr zu helfen, doch bevor sie auch nur einen Schritt tun konnte, erschienen zwei gestiefelte Füße in ihrem Blickfeld.
Mansuetta schaute hoch und blickte in farblose Augen. Marcello Querinis Adjutant Bartolomeo stand vor ihr.
»Ich möchte beim Herrn des Hauses vorstellig werden, dem Prokurator Marcello Querini«, sagte sie.
»Und was könnte Euch zu so einem mächtigen und hohen Herrn führen?«
Der kaum verhüllte Sarkasmus in seiner Stimme brachte sie auf. Sie nestelte die Brille heraus und starrte ihn durch die Gläser an. »Mein Anliegen trage ich ihm lieber selbst vor, das ist rein privater Natur. Es geht um Monna Angelica, seine Frau, und um Anna Monteverdi, deren Schwester.«
»Wirklich?« Ein sardonisches Lächeln huschte über sein Gesicht, während er einen Schritt näher trat und dicht vor der Wasserlinie in die Hocke ging. Mit seiner behandschuhten Rechten schob er die Brille zur Seite und schaute ihr direkt in die Augen.
Oratio bewegte sich unruhig auf der Ruderbank, sah aber keinen Anlass zum Eingreifen. Bartolomeo war weit davon entfernt, angriffslustig oder gewalttätig zu wirken. Wenn er überhaupt eine Regung zeigte, so war es Belustigung.
»Lasst Euch besser ganz schnell wieder nach Hause rudern«, flüsterte Bartolomeo. »Denn Ihr wisst nicht, welches Unglück Ihr über Euch und Eure Lieben bringen könnt, wenn Ihr dumme Fragen stellt! Wozu über Menschen reden, die tot oder fast tot sind. Der Allmächtige hat sich ihrer erbarmt, tut Ihr dasselbe. Lasst die eine in Frieden ruhen, die andere in Frieden sterben.«
»Was wisst Ihr darüber?« Mansuetta merkte, dass sie ebenso leise sprach wie er, als sei sein Flüstern ansteckend. Oder als wäre allein solches Getuschel dem Geheimnis angemessen, das hier gehütet werden sollte.
Er richtete sich wieder auf. »Nichts. Ich weiß gar nichts, nur das, was ich neulich hörte, als ich mit Monna Eugenia bei Euch war. Außerdem ist Messèr Querini gar nicht zu Hause.«
»Er hat recht.« Diese Stimme kam von der Brüstung des Piano nobile und gehörte Eugenia Querini. Die Schwester des Prokurators stützte sich mit den Händen auf dem steinernen Maßwerk des Geländers ab. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen, weil sie verschleiert war. Hellblaue Seide umhüllte ihren Kopf und fiel in Zipfeln über ihre Schultern.
»Marcello ist nicht da. Geht weg, Mansuetta, und bleibt künftig zu Hause. Wer weiß, wozu er imstande ist, wenn er merkt, dass Ihr ihm auf die Schliche gekommen seid.«
Mansuetta starrte nach oben. Auf die Schliche? Und woher kannte Eugenia ihren Namen? Sie hatte sich ihr nicht vorgestellt. Ihre Gedanken überschlugen sich.
»Fahr los«, sagte sie hastig zu Oratio, während sie auf der Bank so weit nach hinten rutschte, wie es eben ging.
Der Junge stieß die Gondel von den Steinstufen weg, und drei Atemzüge später war das Boot bereits so weit von der Ca’ Querini entfernt, dass Mansuetta das Haus ohne Brille nur noch schemenhaft erkennen konnte. Auch die Gestalt von Bartolomeo verschwamm zu einem Schatten. Nur der hellblaue Fleck über der Brüstung des Piano nobile war noch bis zur nächsten Kanalbiegung in schmerzhafter Intensität zu sehen.
»Komische Leute«, sagte Oratio.
Ja, dachte Mansuetta. Das waren sie wirklich.
»Was habt Ihr vor? Wollt Ihr noch mal dorthin, wenn der Prokurator zu Hause ist? Ihr könntet auch zum Dogenpalast gehen, er hat da bestimmt seine Amtsräume.«
»Das überlege ich noch.« Doch Mansuetta hatte bereits beschlossen, ohne Laura nichts mehr zu unternehmen. Dies war eine Sache, die nicht nur sie allein betraf, sondern ihre Schwester ebenso.
Valeria machte keine Anstalten, sich vom Stuhl zu erheben, als der Besucher eintrat. Er war nicht angemeldet, folglich musste sie sich keine Mühe geben, ihm zu gefallen. Zudem hatte sie keineswegs vor, ihm ein Schäferstündchen zu gewähren, auch wenn ihm das vielleicht vorschwebte.
»Sei gegrüßt, Marcello«, sagte sie höflich. Sie bedachte Querini mit einem kurzen Lächeln
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