Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Beichtvater, der alles verstand und alles verzieh.
»Das ist der Unterschied zwischen mir und Antonio«, schloss sie. »Er ist aufs Stehlen erpicht. Wenn wir für den Tag genug haben, reicht es ihm noch lange nicht. Er will mehr, mehr, mehr. Es ist nie genug, und er hat niemals Angst.«
»Er hat Angst, aber zeigt sie nicht.«
Laura runzelte die Stirn. »Bist du sicher? Ich weiß nicht. Mir scheint, Antonio hätte in seinem ganzen Leben noch keine Angst gehabt. Und er erwartet, dass alle anderen ihm nacheifern. Stehlen ohne Angst und ohne Rücksicht auf Verluste. Egal, wie einem gerade zumute ist.«
Sie nahm eine Hand voll Sand auf und ließ ihn sich durch die Finger rieseln. »Ich würde nicht stehlen, wenn ich es schaffte, auf andere Weise an Nahrung und Unterkunft zu kommen. Ich habe es weiß Gott versucht, aber alles, was dabei herauskam, waren schmutzige Angebote von Männern. Und das, was Valeria macht, kann ich nicht. Es ist das Schlimmste von allem!«
»Nicht sehr schlimm«, meinte Carlo gleichmütig. »Sie verkauft Körper, nicht Geist. Ohne Schmerzen, ohne Gewalt.«
»Körper und Geist sind für mich eins«, erklärte Laura entschieden. Versonnen setzte sie hinzu: »Aber weißt du, was fast genauso schlimm ist? Hunger zu haben.«
»Du kannst essen.«
»Stimmt. Meistens. Schon deshalb, weil du so viele Fische fängst und mir davon abgibst. So schlimm wie vorher ist es auf keinen Fall mehr. Klar, das Stehlen ist der Preis für das Essen. Aber lieber ein satter Sünder als fromm und hungrig.«
»Das hat Antonio gesagt.«
Carlo hatte recht, sie erinnerte sich daran; es war noch gar nicht so lange her. Sie schalt sich innerlich, dass sie Worte nachgeplappert hatte, über die sie sich vor ein paar Wochen noch geärgert hatte. Künftig würde sie besser überlegen, was sie von sich gab, vor allem, wenn es von Antonio stammte.
»Was immer er sagt«, meinte sie. »Ich für meinen Teil hasse das Stehlen, genau wie du.«
»Ich hasse es nicht.«
»Aber du hast damit aufgehört!«
»Zu gefährlich«, sagte er lapidar.
Damit hatte er zweifellos recht. Er musste alles vermeiden, womit er zusätzlich auffallen könnte. Lang, dürr und pechschwarz wie er war, wurde er leicht zum Gegenstand unerwünschter Neugierde, es sei denn, er blieb im Hintergrund und war selbst der Beobachter. Er stahl nur noch selten, und auch nur dann, wenn sich eine sichere Gelegenheit bot. Ansonsten fing er nach wie vor Fische, und dank einer aus alten Fischernetzen gebastelten Reuse waren es mehr als je zuvor. Er verkaufte seinen Fang in der Nachbarschaft und brachte sich damit halbwegs über die Runden.
Laura beneidete ihn heftig darum und wünschte sich, ebenfalls über Fähigkeiten zu verfügen, die ihr ein sündenfreies Leben ermöglicht hätten.
Sie pulte eine Gräte aus einem Stück Fisch, bevor sie Matteo weiterfütterte. Der Kleine kaute zufrieden und gab dabei behagliche Geräusche von sich, die Carlo ein Grinsen entlockten. »Gib ihn mir.« Er streckte die Arme aus, und Matteo kam bereitwillig zu ihm.
In den ersten Nächten, die sie in dem Mietshaus zugebracht hatten, war Carlo aus Lauras Sicht der Held der Stunde gewesen. Im Wechsel mit Laura hatte er den Kleinen herumgetragen und ihm das Bäuchlein gerieben, als wäre Matteo sein eigener Bruder. Antonio hatte nur schnaubend und fluchend den Kopf zwischen den Armen vergraben und sie irgendwann angebrüllt, dass sie verschwinden sollte, wofür sie ihm immer noch grollte. Dass er an einem der folgenden Tage eine der Mütter im Haus überredet hatte, den Kleinen abends vor dem Schlafengehen zu stillen, hatte sie kaum versöhnen können.
Carlo ließ den Kleinen auf seinen Knien wippen. »Sag Carlo«, sagte er. »Carlo.«
»Kala«, sagte Matteo, während er mit beiden Händchen in das schwarze Kraushaar fuhr.
Laura kicherte, dann wurde sie ernst. »Wie heißt du eigentlich wirklich? Das wollte ich dich die ganze Zeit schon fragen.«
Carlos Gesicht verschloss sich. »Kein anderer Name hier. In Venedig ich bin nur Carlo. Name steht auf dem Dokument von Antonio. Wenn der nicht gut ist, nenn mich moro nero , das tun viele Leute.«
»Carlo, ich habe dich damals gesehen, als du vom Sklavenschiff kamst«, sagte sie impulsiv. Sie erschrak über sich selbst, weil sie es ausgesprochen hatte. Antonio hatte ihr erzählt, dass Carlo nie darüber redete – ebenso wenig, wie sie selbst über den Tod ihrer Eltern sprach. Es war fast, als müsse sie fürchten, es erneut zu erleben,
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