Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Antonio konnte riechen, dass der Mann zu seiner letzten Mahlzeit reichlich Zwiebeln vertilgt haben musste.
Davon abgesehen hatte er Antonio nichts mitgeteilt, was dieser nicht ohnehin schon wusste. Ausländische Händler konnten sich – nach Entrichtung der vorgeschriebenen Zollgebühren – in der Serenissima eine goldene Nase verdienen, aber sie waren auch strengen Regeln unterworfen. Wer unangenehm auffiel, musste mit saftigen Geldstrafen rechnen oder wurde, was für einen erfolgreichen Kaufmann ungleich schlimmer war, aus der Lagunenstadt verbannt.
Und der Portugiese war unangenehm aufgefallen. Gerade die Portugiesen waren in Venedig nicht sonderlich beliebt, seit einer ihrer berühmten Entdecker, Vasco da Gama, vor nicht allzu langer Zeit den Seeweg nach Indien gefunden und damit seinem Land die Möglichkeit verschafft hatte, das venezianische Gewürzmonopol aufzubrechen. Unter den venezianischen Händlern herrschte Panik, seit sich die Nachricht verbreitet hatte. Die Serenissima drohte eine wichtige Quelle ihres Reichtums zu verlieren, und schuld daran waren die Portugiesen.
Der Sklavenhändler schien zu spüren, dass die Sensationslust der Zuschauer allmählich in Abneigung umschlug, denn er beeilte sich, gemeinsam mit seinen Aufsehern die immer noch laut klagenden Schwarzen über die Uferstraße davonzutreiben, vermutlich, um sie in einem der Lagerhäuser einzusperren, bis er sie in den nächsten Tagen auf einer Auktion verkaufen würde.
In Venedig fand zweimal jährlich ein großer Sklavenmarkt statt, aber davon unabhängig kamen auch zwischendurch immer wieder kleinere Transporte an, denn das Geschäft mit der menschlichen Handelsware war äußerst gewinnträchtig. Für die reichen Patrizier gehörte es zum guten Ton, Mohren zu kaufen, sie in den Wappenfarben ihrer Häuser herauszuputzen und sich von ihnen in der Gondel über den Canalezzo rudern zu lassen, um aller Welt – besonders aber den anderen Nobili – vorzuführen, welchen Luxus sie sich leisten konnten.
Die Menge der Zuschauer zerstreute sich nach und nach, und der eine oder andere unter ihnen bedachte Antonio und den hinter ihm stehenden Kaufmann mit befremdeten Blicken.
Am meisten Sorge bereitete ihm jedoch die rothaarige Göre, die ihm vorhin schon aufgefallen war. Sie stand immer noch auf dem Ponte della Paglia, nur dass sie jetzt nicht mehr die Sklaven anstarrte, sondern ihn. Ihr Mund stand vor Verblüffung offen, und ihre Augen waren so weit aufgerissen, dass es keinen Zweifel gab: Sie hatte etwas mitbekommen, und gleich würde sie es dem Mann mitteilen, der neben ihr stand und schützend den Arm um sie gelegt hatte – vermutlich ihr Vater, der wiederum nur die Wachen ansprechen musste, die wenige Schritte von ihm entfernt am Fuß der Brücke standen.
»Besser, Ihr lasst mich los«, sagte Antonio mit wachsender Unruhe. »Wir fallen schon auf!«
Die Gardisten standen immer noch palavernd auf der Riva degli Schiavoni, und sobald einer von ihnen herüberschaute, würde er augenblicklich Verdacht schöpfen.
Der Zehnerrat kam unterdessen näher und blieb vor ihnen stehen. »Seid gegrüßt, Messèr Mosè. So trifft man sich außerhalb des gewohnten Treffpunktes und vor der vereinbarten Zeit.«
Der jüdische Kaufmann verneigte sich leicht. »Euer Diener, Messèr Querini. Ich war gerade auf dem Weg zu Euch, als dieser scheußliche Vorfall dazwischenkam.«
Antonio schluckte. Dieser Fettsack Mosè würde doch nicht ... Er schielte aus den Augenwinkeln über seine Schulter. Der Kaufmann mochte dreimal so viel Umfang haben wie er selbst, aber er war kaum drei Fingerbreit größer, sodass Antonio sein Gesicht gut sehen konnte. Mosès Miene war indessen undeutbar; außer einem verbindlichen Lächeln war darin nichts zu erkennen, weder Rachsucht noch Boshaftigkeit.
Der Zehnerrat lächelte mit derselben Freundlichkeit, und bei ihm wirkte es auf den ersten Blick entwaffnend natürlich. Doch Antonio, der im Laufe der Jahre gelernt hatte, in den Mienen der Menschen die Nuancen zu erkennen, meinte, eine Spur von Reserviertheit und unterdrückte Abwehr wahrzunehmen.
»Ja, ich sah es ebenfalls, vom Fenster meines Amtszimmers aus. Als ich nach unten kam, war schon alles vorbei.« Querini warf einen kurzen Blick auf Antonio. »Ist das Euer Sohn?«
»Nein, das ist Anzio, mein Gehilfe.«
»Ist er verschwiegen?«
»Mehr als das. Er ist schwachsinnig. Und als Träger ist er unentbehrlich.« Mosè deutete auf die Kiste, die neben ihm stand, ein
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