Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
hätte er gleich verschwinden sollen.
Der Griff war zu fest, um weglaufen zu können, aber Antonio hätte es dennoch versucht, wenn es nicht in dieser Situation zu gefährlich gewesen wäre. Vom Dogenpalast kamen gerade eben weitere Ordnungshüter über den Ponte della Paglia auf die Riva degli Schiavoni, unter ihnen ein höherer Beamter, dessen schwarzes Gewand ihn als Mitglied des Zehnerrats auswies. Mit scharfen Worten befahl er einigen Trägern, für Ordnung zu sorgen, und in ebenso rüdem Tonfall wies er den Portugiesen an, die Sklaven vom Kai wegzubringen. Dieser gehorchte mit gesenktem Kopf, vermutlich in der begründeten Furcht, der Beamte könnte ihm die Schuld für den blutigen Aufruhr anlasten und kurzerhand zur Strafe sein menschliches Handelsgut beschlagnahmen.
»Was wollt Ihr von mir?«, presste Antonio zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, darauf bedacht, möglichst unbeteiligt dreinzuschauen, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Für jemanden, der nicht allzu genau hinschaute, mochte er aussehen wie ein Laufbursche, dem sein Herr väterlich eine Hand auf den Kopf gelegt hatte. Hoffentlich.
»Du hast etwas in deinem Wams, das mir gehört«, sagte der Kaufmann.
»Ihr meint den Beutel, der Euch soeben vom Gürtel gerutscht und zwischen Eure Füße gefallen ist?«, fragte Antonio scheinheilig.
Der Kaufmann gab einen verblüfften Laut von sich. »Da soll mich doch einer ... Was für ein schlaues Früchtchen du bist!«
Antonio spekulierte darauf, dass der Mann sich bückte, um die Geldbörse aufzuheben, die Antonio unauffällig hatte fallen lassen, gleich nachdem der Kaufmann ihn gepackt hatte. Das würde ihm die Möglichkeit eröffnen, schnell wie der Blitz zu verschwinden.
Doch der Kaufmann hielt ihn fest. Unter anderen Umständen hätte Antonio dem Kerl sein Messer in die Hand gebohrt – vielleicht auch woandershin, wo es noch schmerzhafter war –, aber unter den Augen der Palastwache war das ein Unding, da hätte er sich genauso gut gleich selbst die Hand oder die Nasenspitze abschneiden können.
»Was soll das?«, zischte er. »Eure verdammte Börse habt Ihr doch wieder!«
»Eine kleine Gegenleistung könntest du noch erbringen, mein Junge«, sagte der Kaufmann. »Sozusagen als Zinsgebühr für die vorübergehende Leihgabe.«
»Was wollt Ihr?« Unerfreuliche Gedanken schossen Antonio durch den Kopf, und keiner davon hatte mit abgehackten Händen zu tun. Wäre es dem Kaufmann darum gegangen, ihn als Dieb verhaften zu lassen, hätte er nur die Wächter rufen müssen. Dass er das nicht tat, ließ eigentlich nur einen Schluss zu.
»Wir können zu mir gehen«, sagte Antonio daher in liebenswürdigem Tonfall. »Es ist nicht weit. Mit der Gondel quer durch Castello. Eine verschwiegene Kammer in einem abseits gelegenen Haus am Canale di San Pietro ...«
»Wo du mir die Gurgel durchschneiden und mich erneut bestehlen kannst?«, fragte der Kaufmann trocken. »Für wie dämlich hältst du mich, Bursche? Und sehe ich vielleicht aus wie ein verfluchter Sodomit?«
»Na ja, ich dachte ... Hm, wisst Ihr, man sieht es nicht allen an.« Antonio verstummte. Seine Kopfhaut wurde allmählich taub, und er registrierte beunruhigt, dass der schwarz gekleidete Zehnerrat im Begriff war, herüberzukommen.
»Wie heißt du?«, wollte der Jude wissen.
»Anzio«, log Antonio.
»Anzio, wenn du wegläufst, rufe ich die Büttel«, sagte der Kaufmann warnend. Gleichzeitig nahm er die Hand aus Antonios Haaren und packte ihn bei der Schulter. Sich an ihm festhaltend bückte er sich und hob seine Lederbörse auf. Antonio widerstand nur mühsam dem Drang, die Beine in die Hand zu nehmen und das Weite zu suchen, doch die Erinnerung an die tödliche Zielgenauigkeit, mit der vorhin der Gardist der Palastwache den Speer gegen den schwarzen Sklaven geschleudert hatte, half ihm dabei, wie angewachsen stehen zu bleiben. Was immer der Mann von ihm wollte – solange es nicht unzüchtig war und ihn nicht die Hand kostete, würde er damit zurechtkommen.
»Der Portugiese hat sich ein gutes Geschäft ruiniert«, sagte der Händler hinter ihm in beiläufigem Tonfall, ohne seinen Griff um Antonios Schulter zu lockern. »Ein dummer Fehler. Er hätte nicht so auffällig und dreist mit seiner Ware direkt beim Palazzo Ducale aufmarschieren sollen. Genau da, wo die Herrscher der Stadt mit eigenen Augen sehen können, welche Reichtümer er hier verdienen will.« Er stieß verächtlich den Atem aus, und
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