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Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Titel: Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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tragen können, als wöge er nicht mehr als ein Federkissen, und auch ihr selbst war es nie sonderlich schwergefallen, ihn hochzuheben. Doch sie hatte ihn auch niemals lange herumtragen müssen, wie sie im Nachhinein erkannte. Das hatten meist Carlo oder auch Antonio übernommen, sie selbst hatte ihn immer nur über kurze Entfernungen hinweg getragen. Seit beide weg waren, hatte sie auf schmerzliche Art begriffen, wie gering ihre Körperkraft im Vergleich zu derjenigen der beiden Jungen war.
    Sie überquerte eine Brücke, die über einen schmalen Kanal führte, und während sie versuchte, mit ihren Blicken den immer dichter werdenden Nebel zu durchdringen, bezweifelte sie mehr und mehr, dass sie sich auf dem richtigen Weg befand. Die Leute, die sie bisher gefragt hatte, hatten ihr die Lage der Apotheke genau beschrieben, aber jeder auf seine eigene Weise. Allen Hinweisen zu folgen stellte sich schlicht als unmöglich heraus, denn allein der Versuch hatte bereits dazu geführt, dass sie mindestens zweimal im Kreis gelaufen war und gerade eben schon wieder dieselbe Kirche vor sich hatte.
    Matteo zerrte an ihrem Haar, doch sie ignorierte es, genau wie sein fortwährendes Gejammer, mit dem er zum Ausdruck brachte, dass er hungrig und durstig war. Sie hatten seit Tagen kaum etwas gegessen. Hatte ihr Leben schon nach Antonios Einkerkerung eine drastische Wendung erfahren, so war es seit Carlos Verschwinden in der vergangenen Woche erst recht schrecklich geworden. Niemand teilte mehr mit ihr die Aufgabe, für Matteo zu sorgen, folglich war sie gezwungen, ihn überallhin mitzuschleppen. Sie konnte nichts stehlen, weil sie ihn immerfort dabeihatte. Das Wenige, was sie hatte erbetteln können, reichte nicht zum Sattwerden. Sie hätte sich Essen kaufen können, wenn die Zwillinge nicht ihr Geld gefunden und sich davon neu eingekleidet und Schnaps besorgt hätten. Vielleicht hätte Valeria ihr über die Runden helfen können, möglicherweise hätte sie sogar für ein paar Stunden auf den Kleinen aufgepasst. Doch auch sie war weg, mit unbekanntem Ziel, geflüchtet in die Arme ihres neuen Liebhabers, der sie, wie sie kurz vor ihrem Verschwinden mit euphorischer Miene verkündet hatte, halten würde wie eine Prinzessin, mit eigenen Dienstboten, Truhen edelster Kleider und den köstlichsten Speisen, die es in ganz Venedig zu genießen gab. Die Art ihres Weggangs entsprach ihrem ganzen Wesen – sie verließ die erbärmliche Kammer mit einem gelassenen Lächeln und den Worten: »Auf Nimmerwiedersehen, meine Freunde.«
    Einen Tag später war auch Carlo verschwunden, niemand wusste, wohin.
    »La-ha«, sagte Matteo weinerlich, die Stirn gegen ihre Schulter gelegt. Ihm lief die Nase, und seine Stimme klang deutlich belegt. Es war heute kälter, als sie erwartet hatte, und hätte sie gewusst, dass der Nebel immer dichter werden würde, hätte sie ihm ihre Gamurra umgelegt. Sie selbst fror ebenfalls, denn sie hatte nichts Wärmeres anzuziehen als die Sachen, die sie auf dem Leib trug. Sie musste bald dafür sorgen, dass sie ein dickeres Wams bekam und Schuhe für ihre Füße, sonst würde sie sicher schnell krank werden. Vermutlich war sie es bereits, jedenfalls kam es ihr so vor. Seit dem Vortag tat ihr der Hals weh beim Schlucken, und beim Laufen fühlte sie sich wie gerädert. Am liebsten hätte sie sich hingelegt und ein paar Stunden geschlafen.
    Die Winter waren vergleichsweise mild in Venedig, jedenfalls erzählten sich das die Leute, die schon im Norden gewesen waren oder es von Kaufleuten gehört hatten, die von jenseits der Alpen in die Stadt kamen, aus Ländern, wo es, wie sie meinten, wirklich kalt sei. Laura selbst fand es in den Wintermonaten durchaus lausig kalt in der Stadt, eine Erfahrung, die sie im vergangenen Jahr erstmalig gemacht hatte. Im Waisenhaus hatte es in den Schlafräumen weder Heizkamine noch Öfen gegeben, nur schlecht bestückte Kohlenpfannen. In den Nächten hatte Laura vor Kälte gezittert; Matteo hatte sich immerhin noch an Lodovica kuscheln können.
    Während Laura erschöpft mit ihrem Bruder auf dem Arm durch die Gassen stolperte, fragte sie sich nicht zum ersten Mal, was aus der Amme geworden war. Laura konnte nur hoffen, dass sie rasch eine neue Anstellung gefunden hatte, und wie immer, wenn sie an Lodovica dachte, sprach sie im Geiste rasch ein Avemaria für sie.
    Auf einem Campo kam ihr ein alter Mann entgegen, der einen Karren zog. Er tauchte aus dem Nebel auf wie ein Geist, den mageren, in

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