Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
filzige Wolle gehüllten Körper weit nach vorn gebeugt. Falls irgendwann ein Esel das Gefährt für ihn gezogen hatte, musste das lange her sein. Ein paar Augenblicke lang überlegte Laura, ob sie rasch etwas zum Essen für sich und Matteo erbeuten könnte. Der Alte kam ganz offensichtlich von einem Verkaufstag am Markt zurück, und dass er nicht alles losgeschlagen hatte, konnte man schon an dem Poltern und Kollern auf der Ladefläche des Karrens erkennen.
Doch dann sah sie die beiden gewaltigen Kohlköpfe, die zwischen den hölzernen Kastenwänden hin und her rollten, und sie gab ihr Vorhaben auf, ohne es erst zu Ende zu denken. Ein paar Äpfel oder Steckrüben hätte sie dem Mann vielleicht stibitzen und damit fliehen können, sogar mit Matteo auf dem Arm. Der Alte sah nicht aus, als könne er noch rennen. Aber ein Kohlkopf von dieser Größe wog fast so viel wie Matteo, und sie war kein Lasttier, obwohl sie sich gerade in diesem Moment wie eines vorkam.
Seufzend verlagerte sie ihren Bruder abermals auf die andere Hüfte. Wenn der alte Mann schon nicht als Opfer eines raschen Diebstahls taugte, dann doch vielleicht als Wegweiser.
»Sagt, mein Herr«, fragte sie. »Könnt Ihr mir sagen, wo ich die Kräuterhandlung von Monna Crestina finde?«
Der Alte stapfte stur an ihr vorbei, die Schulter gegen das Querstück der Zugstange gestemmt. Entweder war er taub oder unfreundlich.
Eine weitere Gestalt schälte sich ein paar Schritte voraus aus dem Nebel, diesmal eine Frau. Sie trug einen schweren Samtumhang mit einer Kapuze und war in Begleitung einer anderen, weniger vornehm gekleideten Frau, offensichtlich ihre Dienerin.
Laura überwand ihre Scheu und trat vor. »Edle Dame, könnt Ihr mir den Weg sagen? Ich habe mich verlaufen.«
Die Frau fuhr zusammen. »Meine Güte, hast du mich erschreckt, Junge!«
Laura sah, dass sie nicht mehr ganz jung war, sicherlich bereits um die dreißig, doch ihr Gesicht war auf zeitlose Art schön. In dem rötlichen Haar, von dem einige Löckchen unter der Kapuze hervorschauten, fing sich das schwache Tageslicht und brachte es zum Leuchten. Doch ihr Gesicht wirkte matt, mit einem müden Zug um Mund und Augen. »Kommt weiter, Herrin«, sagte die Dienerin. »Das ist bloß einer von diesen Gassenjungen. Die warten nur auf eine Gelegenheit, Euch an den Beutel zu gehen.«
Laura merkte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Hastig senkte sie den Kopf und zog sich gleichzeitig die ohnehin viel zu große Kappe tiefer ins Gesicht, um die verräterische Röte zu verbergen. Die Frau war seit langer Zeit die erste gut gekleidete Person, bei der sie nicht sofort ans Stehlen gedacht hatte, und ausgerechnet bei ihr wurde ihr nun eine böse Absicht unterstellt. Es war Unsinn, sich deswegen gekränkt zu fühlen, schließlich verdiente sie derartige Verdächtigungen mehr als jeder andere. Trotzdem versetzte es ihr einen Stich, auf diese Weise angesehen zu werden. Sie schluckte hart, doch davon wurde nur das Halsweh schlimmer. An ihrem Ärger änderte sich nichts.
»Unsinn«, erwiderte die Frau. »Schau doch, der Junge hat seinen kleinen Bruder dabei. Wie will er da stehlen?«
Ja, wie?, dachte Laura in einer Aufwallung von zynischer Belustigung. »Verzeiht mir, ich wollte Euch nicht belästigen«, sagte sie höflich, während sie bereits zur Seite trat, um weitergehen zu können.
»Warte«, rief die Frau ihr nach.
Laura wandte sich zögernd wieder um. »Ja?«
»Du sprichst ... gebildet. Bekommst du Unterricht?«
Laura schüttelte den Kopf. Sie mochte sich gewählter ausdrücken als alle anderen Gassenrangen, wenigstens das war ihr als Erbe ihrer Eltern geblieben. Dennoch hatte sie niemals einen Lehrer aus der Nähe gesehen, jedenfalls nicht bewusst, und das war auch bei den meisten Mädchen, die zufällig aus reichem Elternhaus stammten, nicht anders.
»Wohin willst du denn, Junge?«
»Zu Monna Crestina, der Kräuterhändlerin. Sie muss hier irgendwo in der Nähe einen Laden haben, aber ich finde ihn nicht.«
Zu ihrer Überraschung errötete die Frau leicht. »Von da komme ich gerade. Sie wohnt geradewegs dort drüben.« Sie zeigte in eine schmale, von vorkragenden Fassaden begrenzte Gasse. »Im vorletzten Haus auf der rechten Seite. Es hängt ein Schild an der Tür, auf dem Farmacia steht.« Sie biss sich auf die Lippe. »Verzeih, mein Kleiner, ich vergaß. Du kannst ja nicht lesen.«
»Ich komme auch so durchs Leben.«
»Du bist so heiser, was ist mit deiner Stimme?«
»Nur eine
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