Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
hinteren Teil des Hauses folgte, musterte sie ihn aus den Augenwinkeln. Sie sah gut genug, um erkennen zu können, wie ansehnlich er war. Sonderlich hochgewachsen war er nicht, aber doch bestimmt eine Handbreit größer als sie selbst. Seine Schultern waren breit und kräftig, seine Gesichtszüge ebenmäßig und sein Lächeln einnehmend. Zwischen seinen beiden oberen Schneidezähnen klaffte eine winzige Lücke, die ihn unzweifelhaft als Sohn seines Vaters auswies, auch wenn diese kleine Besonderheit bei Isacco längst nicht so ausgeprägt war wie bei Mosè.
Isacco trug sein dunkles Haar kurz geschnitten. Vor allem über den Ohren war es sorgfältig bis auf die Haut zurückgestutzt, als wolle er jeden Zweifel über seine Herkunft ausräumen. Die Form der Nase und die dunklen Augen mochten ebenso gut römisch wie jüdisch anmuten, doch Mansuetta wusste, dass Isacco wie alle Marranen stets peinlichst darauf bedacht war, auf keinen Fall in der Öffentlichkeit als Jude wahrgenommen zu werden. Nach seiner Taufe hatte er Wert darauf gelegt, bei seinem neuen christlichen Namen genannt zu werden, Stefano. Mansuetta hatte sich anfangs redlich damit Mühe gegeben, doch richtig funktioniert hatte es nie; schließlich kannte sie ihn von Kind an, und er war immer Isacco für sie gewesen. Nach einigen vergeblichen Bemühungen hatte sie es aufgegeben. Sie war froh, dass er ihr deswegen nicht böse zu sein schien.
Isacco stieß die Tür zur Küche auf, außer dem Laden der einzige Raum im Erdgeschoss des schmalen Hauses. Erdrückende Wärme schlug Mansuetta entgegen. Obwohl es draußen noch nicht allzu kühl war, brannte ein Feuer im Kamin.
»Mutter, hier kommt Mansuetta mit den Kräutern«, sagte Isacco.
»Das sehe ich, schließlich bin ich nicht blind«, kam es in gereiztem Tonfall zurück. Ein Hustenstoß begleitete die heiseren Worte.
Elsa Zinzi saß in ihrem Lehnstuhl dicht beim Kamin, und wie immer bei diesem Anblick fürchtete Mansuetta, dass eines Tages aufstiebende Funken die alte Frau in Brand stecken würden.
Sie hatte keine Ahnung, wie alt Elsa Zinzi genau war, doch wenn man sie so gebeugt und verhutzelt in ihrem Lehnstuhl sitzen sah, konnte man meinen, sie sei mindestens achtzig. Crestina hatte jedoch einmal erwähnt, dass sie älter sei als Elsa, und letztlich hatte Mansuetta sich selbst ausrechnen können, dass es stimmen musste. Ihre Mutter war dreiundsechzig, sie selbst folglich ein spät geborenes Kind. Da Elsa Isaccos Mutter war und er im selben Alter wie Mansuetta, konnte sie nicht älter sein als Crestina, denn niemand hatte je von Frauen gehört, die jenseits der fünfzig noch Kinder gebaren, abgesehen von Abrahams Weib Sara, von der die Heilige Schrift berichtete, sie sei sogar bereits neunzig gewesen, als sie Isaak das Leben schenkte. Dergleichen mochte mit Gottes Hilfe der Erzmutter geschehen sein, aber bei normalen Menschen gab es das nicht.
Mansuetta goss Wasser aus dem bereitstehenden Krug in den Kessel, den sie über das Feuer hängte. Während sie mit dem Kamineisen die Glut schürte, war sie sich der Anwesenheit Isaccos deutlich bewusst, und sie fragte sich bange, was er gerade betrachtete, ihr volles, im Schein der Flammen leuchtendes Haar oder ihre seitlich abfallende Schulter. Sie konnte sich noch so sehr bemühen, aufrecht zu stehen, man würde es immer sehen.
Isacco räusperte sich. »Ich ... gehe dann wieder nach oben. Du kommst doch allein zurecht, Mansuetta?«
»Natürlich«, sagte sie schnell. Sie wandte ihm den Rücken zu, damit er ihre Enttäuschung nicht bemerkte. Als sie das letzte Mal hier gewesen war, hatte er sich dazugesetzt, als seine Mutter den Aufguss trank. Doch diesmal kam es ihr vor, als sei die Atmosphäre angespannt, wie nach einem Streit.
»Geh nur und steck die Nase in deine langweiligen Bücher«, meinte Monna Elsa. »Jetzt ist ja jemand da, der sich um mich kümmert.«
Mansuetta glaubte, seine Erleichterung förmlich mit Händen greifen zu können, als er sich hinter ihr vorbei zur Tür schob, die in den Hinterhof führte. Von dort ging eine Außentreppe nach oben ins Dachgeschoss, so wie bei den meisten schmalen Häusern ohne Kanalzugang, in deren Inneren kein Fußbreit Platz für eine Stiege verschenkt wurde.
Im Dachgeschoss gab es wie in Crestinas Haus drei Kammern, allesamt zu winzig, um sie für andere Beschäftigungen zu nutzen außer zum Schlafen und zum Aufbewahren persönlicher Habe. Isacco genoss wie Mansuetta das seltene Privileg, eine Kammer zum
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