Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
geworden, zeigte sich darin nicht nur zunehmende Resignation, sondern auch allgemeine Schwäche, und von da an war es nicht mehr weit bis zur endgültigen Apathie, von der sich manches Kind nie wieder erholte. Aus einer Erkältung entstand dann rasch ein gefährlicher Husten, aus erhitzten Wangen ein tödliches Fieber.
Es wurde Zeit, dass sie ihm etwas zu essen beschaffte. Die beiden Münzen würden für ein ordentliches Stück Brot und ein paar Äpfel reichen. Vielleicht könnte sie bei der Kräuterhändlerin Fenchelsamen erbetteln und diese der Hausbewohnerin mitbringen, die dann sicherlich im Gegenzug ein paar Stunden auf Matteo aufpassen würde. Damit wäre wieder Zeit gewonnen, in der sie etwas stehlen konnte. Irgendwie würde es weitergehen. In den letzten Tagen hatte sie sogar angefangen, darüber nachzudenken, sich selbst zu verkaufen. Sie ahnte, dass ihr in nicht allzu ferner Zukunft nichts anderes übrig bleiben würde, wenn sie überleben wollte.
Sie holte Luft und verdrängte die trüben Gedanken. Mit einem kräftigen Stoß drückte sie gegen die Tür und war erleichtert, sie unverschlossen zu finden. Das Läuten der Ladenglocke über ihrem Kopf ließ sie kurz zusammenzucken, doch gleich darauf wurden ihre Sinne von dem durchdringenden Kräuterduft gefangen genommen, der ihr beim Betreten des Geschäfts entgegenschlug. Machtvoll stieg er ihr in die Nase und verwirrte in seiner Vielfalt ihr Geruchsvermögen. Manche Untertöne kannte sie aus der Küche ihrer Mutter und von manchen Heilsäften, zubereitet von der Magd, die früher auch für sie die Mahlzeiten gekocht hatte. Da waren Salbei und Minze, Thymian, Sennesblätter, Zimt und Anis sowie eine Reihe andere, die sie schon häufiger gerochen hatte, aber ebenso viele, deren Aroma fremdartig süß oder bitter war. Holzig, fruchtig, schwer oder leicht, scharf oder lieblich.
Sie atmete tief ein und blinzelte ein paar Mal, bis sie im schwachen Licht der Talgleuchte, die auf der großen hölzernen Theke vor ihr brannte, Einzelheiten der Einrichtung ausmachen konnte. Der Raum war schmal und lang gezogen und hatte ein mit Wachspapier bespanntes Fenster neben der Eingangstür, das jetzt allerdings zusätzlich mit einem Laden verschlossen war und daher keinerlei Tageslicht hereinließ. Entlang der Längswände und einem Teil der Rückwand erstreckten sich deckenhohe Regale, die mit unzähligen Gläsern, Tongefäßen und Leinensäckchen vollgestopft waren. Auf der Theke standen Gerätschaften, von denen Laura eines als kompliziert gestaltete kleine Waage und ein anderes als Tintenfass mit Federhalter erkannte. Ein tickendes rundes Ding mit einem Zeiger unter einer gewölbten Glasscheibe musste eine Uhr sein. Als sie fasziniert näher trat, um es sich genauer anzuschauen, öffneten sich gleichzeitig beide Türen, die von dem Raum abgingen – die Ladentür und die etwas schmalere, die auf der anderen Seite der Theke in den hinteren Teil des Hauses führte.
Instinktiv fuhr Laura herum, in vielen Monaten darauf gedrillt, zuerst die Gefahr im Rücken abzuschätzen – einen möglichen Verfolger, der von hinten angriff und dessen Taktik und Schnelligkeit es zu erfassen galt, wenn man selbst rasch genug davonkommen wollte.
Sie atmete unwillkürlich aus, als sie gewahr wurde, dass eine Frau den Laden betrat. Zu ihrer Überraschung handelte es sich um jemanden, den sie kannte – die rothaarige, verwachsene Verkäuferin, die sie auf der Piazza San Marco gesehen hatte, kurz nachdem der große Negersklave von den Palastbütteln getötet worden war. Die Rothaarige hatte zusammen mit einem Ausrufer, der auf Stelzen ging, ein Mittel verkauft, das Männer zu Hengsten werden ließ. Laura erinnerte sich mit schmerzlicher Klarheit daran, wie sie ihren Vater gefragt hatte, was es damit auf sich hatte. Vielleicht war dies damals die letzte unbeschwerte Unterhaltung gewesen, die sie mit ihrem Vater geführt hatte, bevor das Unheil über ihre Familie hereingebrochen war. Sie hatte ihren Krapfen gegessen und er seinen Wein getrunken, ein vergnüglicher Zeitvertreib an einem sonnigen Nachmittag.
Nein, dachte Laura gleich darauf, das stimmte nicht; schon an jenem Tag hatte die Gewissheit des kommenden Schreckens auf ihr gelastet und jede Freude zunichte gemacht. Nach der Landung des Sklavenbootes hatte es keine glückliche Minute mehr für sie gegeben.
Sie wandte sich zögernd wieder zur Verkaufstheke um, hinter der eine andere Frau erschienen war. Sie war wesentlich älter als
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