Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
die hinkende Rothaarige, wahrscheinlich schon jenseits der sechzig. Unter ihrer Haube waren eisengraue Haarsträhnen zu sehen, und grau war auch der Kittel, den sie über ihrem Gewand trug. Ihre Gestalt war schmal, aber aufrecht; ihr hageres Gesicht spiegelte freundliches Interesse wider.
Laura führte es darauf zurück, dass sie Matteo auf dem Arm hatte. Ein schlafendes Kleinkind zerstreute Argwohn und Ablehnung weit schneller, als sie selbst es mit noch so ehrerbietigen Gesten und Worten je geschafft hätte.
Höflich nahm sie die Kappe ab und verneigte sich. »Seid gegrüßt, Monna Crestina.« Fragend fügte sie hinzu: »Ihr seid es doch, oder?«
Die Frau hinter der Theke fuhr zusammen wie unter einem Schlag. Ihre Augen weiteten sich erschrocken, als sei ihr ein Geist erschienen.
Mit sichtlicher Anstrengung fing sie sich wieder. »Ja«, sagte sie langsam. »Ja, das bin ich. Und wer bist du?«
Laura kämpfte gegen ihre wachsende Unsicherheit und zwang sich, gelassen zu antworten. »Mein Name ist Lauro, aber das ist nicht so wichtig.« Ihre Stimme klang so heiser, dass sie sich in ihren eigenen Ohren völlig fremd anhörte. »Ich bin nur gekommen, um Euch eine Nachricht zu überbringen. Genauer gesagt, ein Anliegen. Es geht um Euren Gehilfen, Antonio Bragadin.«
»Der Nichtsnutz war unser Gehilfe«, sagte die rothaarige Frau sarkastisch. »Wenn auch nicht lange genug, um ihm Manieren beizubringen.«
Laura schluckte und merkte dabei, dass ihr Halsweh schlimmer geworden war. Es brannte wie Feuer. Mit einem Mal fühlte sie sich erbärmlich schwach. Sie setzte Matteo zu ihren Füßen auf dem Fußboden ab. Er wurde wach und stimmte ein verschlafenes Gejammer an, was Laura sofort veranlasste, ihn wieder hochzunehmen und sich auf die schmerzende Hüfte zu setzen. Schutzsuchend drückte er sich an sie; das Köpfchen lag schwer an ihrer Schulter.
»Ich muss wieder gehen«, sagte sie erschöpft. »Mein Bruder ist müde, und ich kann ihn kaum noch tragen. Aber ich möchte trotzdem dringend für Antonio bitten. Er braucht Eure Hilfe. Sonst wüsste ich niemanden, der sich für ihn einsetzen könnte. Er sitzt seit zwei Wochen im Gefängnis.«
»Wo er ganz zweifellos hingehört«, sagte die Rothaarige.
»Schweig, Mansuetta«, fiel Crestina ihr ins Wort. »Manchmal redest du zu viel.« Ihre Stimme klang barsch, was die Rothaarige offenbar nicht gewohnt war, denn sie schaute die Ältere erstaunt und gekränkt an.
»Was hat er getan?«, fragte Crestina.
»Nichts.«
»Ausnahmsweise«, murmelte Mansuetta. Crestina warf ihr einen scharfen Blick zu, kommentierte die Bemerkung jedoch nicht weiter. Stattdessen fragte sie Laura: »Was ist passiert?«
Laura hustete kurz, aber heftig, und anschließend keuchte sie, weil das Husten so wehgetan hatte. »Er eilte mir zu Hilfe«, sagte sie mühsam.
»Warum?«
Laura wurde es übel, wenn sie nur daran dachte. Sie sah Cattaneos wütendes Gesicht immer noch in allen Einzelheiten vor sich, und sie hätte schreien mögen vor Wut und Entsetzen darüber, dass sie ihm in die Arme gelaufen war. Und vor allem darüber, dass seinetwegen Antonio eingekerkert worden war.
»Ein Mann wollte mir etwas Böses antun. Antonio hat ihn weggestoßen, und daraufhin nahmen ihn die Büttel fest.«
Crestina musterte sie eingehend. »Wie alt bist du, Kind? Und wie heißt dein Bruder?« Bevor Laura antworten konnte, streckte die Frau die Arme aus. »Gib ihn mir, ich halte ihn für dich. Sonst fällt er dir noch vom Arm.«
Laura gehorchte widerstrebend, in der Erwartung, dass Matteo sofort anfangen würde zu weinen. Er war in einem Alter, in dem er auf Fremde sehr empfindlich reagierte. Doch zu ihrem Erstaunen schaute er die Alte nur mit großen Augen an, ließ sich aber widerspruchslos von ihr halten. Ein wenig steif saß er auf ihrem Arm, drei Finger seiner Hand in den Mund geschoben und darauf herumbeißend. Er zahnte immer noch – oder schon wieder, je nach Betrachtungsweise. Eine Frau aus dem Haus hatte Laura erklärt, dass es lange dauern würde, bis er alle seine Zähne hätte.
»Er heißt Matteo und war im August ein Jahr alt. Ich selbst werde elf.«
»Wann?«, fragte Crestina. Ihr Tonfall schien Laura merkwürdig angespannt, doch vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Sie hatte Matteo nicht mehr auf dem Arm, doch sie fühlte sich mit jedem Atemzug schwächer. Hustend holte sie Luft und rieb sich den Hals, weil das Brennen immer schlimmer wurde. Sie dachte kurz nach. »Morgen«, sagte sie
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