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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Licht in der kindlichen Hoffnung, mich dadurch unsichtbar zu machen. Orfane kommt erst sehr viel später heim. Ich stelle mich schlafend. Bete, dass er kein Licht macht. Er macht kein Licht. Zieht sich im Dunkeln aus, schlüpft unter die Decke und beginnt auf der Stelle zu schnarchen. Ich ziehe mich wieder an und gehe hinaus in die Nacht. Das Surren der Generatoren ist verstummt. Nur spärlich erleuchtet der Mondschein das Camp. In den Zelten ist noch Leben. Mir ist, als hörte ich Brunos Stimme heraus, aber sicher bin ich mir nicht. Ich laufe an der Einfriedung entlang, mit gesenktem Kopf, die Arme vor der Brust verschränkt. Zwei Hundewelpen streichen schnüffelnd um meine Waden. Ich gehe in die Hocke, um sie zu kraulen. Sie räkeln sich wohlig und laufen zum Haupteingang, wo ein Nachtwächter vor sich hin döst, am Ohr ein winziges Transistorradio … Eine Zigarette glimmt in der Dunkelheit auf und verlischt wieder. Es ist Elena. Sie sitzt auf der Stufe vor ihrem Pavillon, in Shorts und Hemdchen, raucht und schaut auf ihre Füße. Als ich gerade wieder umkehren will, entdeckt sie mich und winkt mir zu.
    Â»Ich kann kein Auge zutun«, sage ich entschuldigend.
    Â»Ich auch nicht.«
    Â»Sorgen?«
    Â»Nicht wirklich.«
    Sie rückt zur Seite, um mir Platz zu machen. Ich setze mich neben sie. Der Hautkontakt verwirrt mich. Ich spüre die Wärme ihres Körpers, ihren zarten Duft. Ich glaube fast, sie zittert, oder vielleicht zittere auch ich …
    Â»Du solltest aufhören zu rauchen«, ermahne ich sie, um der Gefühle, die in mir aufsteigen, Herr zu werden.
    Sie lächelt und schnipst die Asche von der Zigarette.
    Â»Ein oder zwei Zigaretten am Tag, das ist nicht weiter schlimm.«
    Â»Wenn du nicht süchtig bist, dann mach doch einfach Schluss damit.«
    Â»Ich rauche ganz gern mal eine Zigarette, gerade abends vor dem Schlafengehen. Das hilft mir, mich zu entspannen. Und ist irgendwie auch eine Art von Gesellschaft.«
    Â»Fühlst du dich einsam?«
    Â»Manchmal schon. Aber alles halb so wild. Ich grübele viel, das macht mich ein bisschen zum Einzelgänger. Und wenn ich mein Selbstgespräch mit Zigarette führe, dann ist das so, als wäre da einer mehr, zwischen mir und meinen Gedanken, wie ein Gesprächspartner. Der das, was ich denke, noch unterstreicht, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Ich gebe mich geschlagen. Sie sieht mich nachdenklich an. Im sanften Licht des Mondes versenke ich mich in ihren Anblick. Sie ist eine echte Schönheit, stelle ich wieder und wieder fest. Ihr Oberteil betont die vollendete Form ihrer Büste, ihre weichen Arme schimmern erhaben in der Dunkelheit. Ihr Moschusduft steigt mir zu Kopf, ihre Augen glühen wie zwei in Samt eingeschlagene Rubine.
    Â»Ich habe dich heute noch gar nicht gesehen.«
    Â»Ich war den ganzen Tag über mit der alten Frau beschäftigt«, antwortet sie und meint die gebrechliche Mutter des jungen Karrenziehers.
    Â»Wie geht es ihr denn?«
    Â»Sie wird überleben.«
    Sie wirft ihre Kippe in den Sand und dreht sich ganz zu mir um.
    Â»Sag mal, glaubst du an Gott, Kurt Krausmann?«
    Â»Meine Mutter war ein sehr gläubiger Mensch. Das reicht für die ganze Familie … Warum?«
    Â»Wegen dieser alten Frau … Wir hatten sie doch halbtot dort zurückgelassen, oder? Wir dachten doch alle, ihr letztes Stündlein habe geschlagen. Und wir haben ja nur deshalb dem Drängen ihres Sohnes nachgegeben, weil wir dachten, er wolle sie ungestört begraben. Ich kann gar nicht glauben, dass sie überlebt hat. Dabei bin ich jetzt schon sechs Jahre in Afrika. Vorher war ich im Kongo und in Ruanda. Und ich habe die unbegreiflichsten Dinge gesehen. Es gibt in diesen Ländern Phänomene, die ich einfach nicht fassen kann, für die mir jede Erklärung fehlt. Es ist wirklich sehr sonderbar.«
    Â»Was ist sonderbar?«
    Â»Die Wunder«, sagt sie und sieht mir direkt in die Augen, als ob sie dort etwas sucht. »Ich bin immer wieder Zeuge übernatürlicher Ereignisse geworden. Ich habe Menschen gesehen, die vom Rand des Todes zurückgekommen sind, Sterbenskranke, die am nächsten Morgen frisch und munter aufgestanden sind, und viele andere, derart unwahrscheinliche Dinge, dass ich kaum davon erzählen kann, ohne dass es albern klingt.«
    Ihre Hand drückt die meine. Wie immer, wenn Elena sich verloren fühlt. Es ist mehr ein

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