Die Landkarte der Finsternis
ansprechen zu müssen:
»Wenn das so ist, warum hat man uns schon jetzt einbestellt?«
»Weil ich noch ein paar Informationen brauche«, entgegnet der Hauptmann.
»Was für Informationen?«, murrt Bruno und blickt unzufrieden auf den Lagerleiter. »Wir sind niemandem Rechenschaft schuldig. Die Vertreter unserer Botschaften sind schon im Anflug, und uns scheint, sie sind unsere alleinigen Ansprechpartner.«
»Herr â¦Â«, versucht der Hauptmann.
»Die Herren«, fällt ihm Bruno ins Wort und steht auf, »wir bitten darum, uns unverzüglich zurückziehen zu dürfen. Wir sind weder Verdächtige, noch sind wir illegale Einwanderer. Und wir haben mit Wildfremden nichts zu besprechen. Kurt und ich werden bis zur Ankunft der offiziellen Vertreter unserer Länder in unsere Unterkünfte zurückkehren.«
Mit bebenden Nasenflügeln deponiert der Offizier seinen prallen Aktendeckel auf dem Schreibtisch des Lagerleiters, verschränkt die Arme vor der Brust und legt los:
»Das hier ist kein Verhör, sondern ein ganz normales Vorgehen, das zu meinen Aufgaben gehört. Ich bin für die Sicherheit in dieser Zone verantwortlich, und jede Information, die dazu beitragen kann, die Lage im Sektor zu entspannen â¦Â«
»Können wir jetzt gehen?«, fragt Bruno den Leiter des Camps, ohne auf die Ausführungen des Offiziers einzugehen.
Christophe Pfer schweigt betreten. Verlegen sitzt er da, die Hände an die Schläfen gepresst, und fixiert stumm den Kalender auf seiner Schreibunterlage. Bruno fordert mich auf, mit ihm zusammen das Büro zu verlassen. Irritiert durch das Verhalten des Lagerleiters beschlieÃe ich, dem Franzosen zu folgen. Der Offizier macht keinerlei Anstalten, uns zurückzuhalten, hebt nur resigniert die Arme und lässt sie verärgert auf seine Oberschenkel fallen.
Ohne jede Erklärung, warum er sich dem Offizier gegenüber so unkooperativ gezeigt hat, stapft Bruno über den Hof, in einem Tempo, dass ich kaum nachkomme. Er bleibt stehen, bis ich ihn eingeholt habe, und nimmt mich, da Elena und alle anderen noch mit ihren Patienten zu tun haben, mit zu seinen Brüdern , in ein Zelt unweit der Krankenstation. Es sind sechs Rekonvaleszenten: ein alter Haudegen mit spottblitzenden Augen, zwei Heranwachsende und drei mehr oder weniger übel zugerichtete Männer, unter ihnen der DreiÃigjährige mit dem Gipsverband, der vor zwei Tagen in der Kantine die frivolen Geschichten zum Besten gegeben hat. Sie amüsieren sich bestens und lassen sich durch unser Hereinplatzen nicht stören. Ein Junge mit Hüftverband sagt soeben:
»So schnell setz ich keinen Fuà mehr in einen Suk.«
»Das ist aber ein herber Verlust für die Ladenbesitzer«, spottet einer der Verletzten.
»Na und«, erwidert der Jugendliche, »ich kann ja wohl noch selbst entscheiden, wo ich mein Geld verjubele, oder?«
»Lasst ihn doch endlich mal zu Ende erzählen«, quengelt ein Junge mit Brandwunden im Gesicht. »Sonst verliert er den Faden.«
Die anderen verstummen.
Der Erzähler hüstelt in die Faust, erfreut, jetzt der allgemeinen Aufmerksamkeit gewiss zu sein, und fährt fort:
»Ich hatte gerade meinen Lohn kassiert und wollte mir davon, zusammen mit meinen Ersparnissen, ein paar coole Basketballschuhe kaufen, mit dem Markennamen auf der Zunge und supertollen weiÃen Schnürsenkeln. Mein Leben lang habe ich nur alte löchrige Sandalen getragen, ich wollte mir einfach mal was Tolles gönnen, um meiner Nachbarin zu imponieren, die immer tat, als wäre sie was Besseres. Ich habe sämtliche Märkte abgeklappert, das hat mich den ganzen Tag gekostet. Am Ende bin ich per Zufall auf einen fliegenden Händler gestoÃen, der hat ein Paar Nikes aus dem Karton gezaubert, das war der helle Wahnsinn. Ich habe sie anprobiert, und, was soll ich sagen, sie passten wie angegossen. Kosteten ein Vermögen, aber was sollte ich groà feilschen? Qualität hat schlieÃlich ihren Preis, und wenn man sich mal was Gutes holen will, dann schaut man doch nicht auf den Preis, stimmtâs, Onkel Mambo?«
»Korrekt, Söhnchen«, bekräftigt der alte Haudegen. »Wenn ich mir mal einen herunterholen will, dann ist mir der Preis der Seife auch völlig egal.«
Ãberbordende Heiterkeit erschüttert das Zelt. Der Junge wartet, bis wieder Ruhe eingekehrt ist, dann fährt er fort, ohne sich
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