Die Landkarte der Finsternis
ihren Kippen. Eine bedrückende Atmosphäre lastet auf dem Camp. Gegen drei Uhr nachmittags rattert ein Fax auf den Schreibtisch des Lagerleiters: Das Flugzeug sei nach Khartum zurückgekehrt, seine Ankunft auf den nächsten Tag verschoben. Als Bruno das hört, versinkt er in düsterem Verfolgungswahn. Für ihn besteht nun kein Zweifel mehr daran, dass es sich um ein abgeÂkartetes Spiel handelt. Er meint, der Flieger habe Khartum niemals verlassen und die sudanesische Regierung suche nur Zeit zu gewinnen. Mir leuchtet das nicht ein. Bruno nimmt mich zur Seite und überschüttet mich mit einem Haufen bizarrer Theorien, aus denen nur hervorgeht, dass seine Psyche am Tiefpunkt ist.
»Könnte doch sein«, flüstert er, »dass der sudanesische Geheimdienst das Fax mit der Nachricht, dass wir im Camp sind, abgefangen hat. Dass unsere Botschaften überhaupt nie informiert worden sind. Die Anwesenheit all der Soldaten hier lässt mich das Schlimmste ahnen. Das riecht nach Komplott.«
»Das macht doch keinen Sinn.«
»Wir sind in Afrika, Kurt, vergiss das nicht. Welche Sicherheit haben wir, dass die Piraten, die uns entführt haben, nicht mit der Regierung unter einer Decke stecken? Haben unsere Botschaften uns auch nur einmal kontaktiert? Oh nein! Niemand hat sich mit uns in Verbindung gesetzt. Findest du das nicht merkwürdig? Es wäre das Mindeste gewesen, dass uns jemand Offizielles aus der Botschaft anruft, um uns zu beruhigen und sich zu erkundigen, wie man uns hier aufgenommen hat. Aber stattdessen: Sendepause.«
Bruno übertreibt. Vermutlich hat ihn die Aussicht darauf, im ungünstigsten Fall an die Landesgrenzen verfrachtet und nach Frankreich abgeschoben zu werden, völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Am nächsten Tag gegen 15 Uhr legt eine kleine Propellermaschine eine reibungslose Landung auf dem freien Feld unweit des Camps hin. An Bord die beiden Leiter der Konsularabteilungen unserer Botschaften, ein Offizier des Bundesnachrichtendienstes, der Korrespondent eines groÃen Fernseh-senders und sein Kameramann, zwei Zeitungsjournalisten und drei höhere Offiziere der sudanesischen Armee. Man erklärt uns, eine technische Panne habe den Piloten genötigt, zur Basis zurückzukehren, und die Delegation habe einen zweiten Flieger chartern müssen, um die Mission durchzuführen, womit sich Brunos aberwitziger Verdacht zerstreut hat. Christophe Pfer stellt uns sein Büro zur Verfügung, dessen beengte Dimensionen dem Kameramann akrobatische Höchstleistungen abverlangen. Nach den BegrüÃungsfloskeln und dem Händedruck eröffnet mir der Konsulatsleiter, dass schon alles für meinen Rückflug in die Wege geleitet sei und ich heimkehren könne, wann immer ich wolle. Ich frage ihn, ob es Neuigkeiten von Hans Mackenroth gibt. Zu meiner Bestürzung erfahre ich, dass alle Versuche, ihn zu finden, im Sand verlaufen sind.
»Das kann gar nicht sein!«, ruft Bruno. »Sie haben doch Lösegeld für ihn verlangt.«
»Uns ist keinerlei Lösegeldforderung zugegangen«, erklärt Gerd Bechter, der deutsche Konsulatsleiter. »Wir wussten, dass die Yacht zwischen Dschibuti und Somalia gekapert worden war. Danach haben wir jede Spur von Ihnen, von Herrn Mackenroth und Ihrem philippinischen Begleiter verloren.«
»Tao wurde von den Piraten ins Meer geworfen«, sage ich.
Die Journalisten kritzeln die Information hastig in ihre Blöcke.
»Und wer hat Sie von dem Ãberfall auf die Yacht in Kenntnis gesetzt?«, fragt Bruno argwöhnisch.
»Die AuÃenbüros von Hans Mackenroth auf Zypern ⦠Er hat sich zweimal täglich telefonisch bei ihnen gemeldet, um 9 Uhr früh und um 22 Uhr, um ihnen seinen Standort und einen Lagebericht durchzugeben. Plötzlich herrschte Funkstille. Kein Fax und keine Mails. Von Nikosia aus haben sie immer wieder versucht, die Yacht zu erreichen. Ohne Erfolg. Achtundvierzig Stunden nach dem letzten Kontakt hat die Familie von Herrn Mackenroth in Frankfurt dann das Auswärtige Amt informiert, und es wurden sofort SuchmaÃnahmen eingeleitet. Die Yacht wurde in einer Bucht im Norden Somalias aufgefunden und von französischen Spezialeinheiten geborgen, die in Dschibuti stationiert sind. Da niemand verhaftet werden konnte, sind wir im Dunkeln getappt, nicht eine Spur und keinen Zeugen.«
»Ohne Hans Mackenroth kehre ich jedenfalls nicht nach Deutschland
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