Die Landkarte der Finsternis
Ihnen nach Khartum zu kommen! Ich gehe nicht von hier weg, bevor ich keine Antwort auf meine Frage habe: Wo um alles in der Welt ist Hans Mackenroth?«
»Ich kann Sie nur zu gut verstehen«, bemerkt der Konsulatsleiter, »aber gutheiÃen kann ich Ihre Entscheidung nicht. Glauben Sie mir, Sie könnten uns anderswo sehr viel nützlicher sein.«
»Wir müssen heute noch den Rückflug antreten«, schaltet sich der Oberst ein. »Wir haben das Flugzeug nur für den Tag gechartert, und der Abend ist nicht mehr weit.«
»Ich bedauere, Herr Oberst, aber Ihre Verpflichtungen decken sich nicht mit den meinen.«
Ich kann mir nicht vorstellen, ohne Hans nach Deutschland zurückzukehren. Wenn ich Afrika verlasse, will ich nichts zurücklassen und nichts mitnehmen; ich will alles ausblenden, was meinen Rückweg in ein normales Leben gefährden könnte. Es wird hart werden, sehr hart, aber ich denke, ich werde das schaffen, denn nur so kann man als Ãberlebender das Weiterleben lernen. Ich werde all den grauenvollen Erinnerungen den Rücken kehren, die versuchen werden, sich in meinen Schatten zu verbeiÃen, bis sie mit ihm verschmelzen, werde all die vulgären Stimmen und furchtbaren Detonationen abschütteln, die noch immer in meinen Schläfen widerhallen. Ich werde mir erfolgreich einreden, dass mein afrikanisches Intermezzo nur ein böser Traum gewesen ist, und wieder allmorgendlich inmitten vertrauter Geräusche erwachen, so lange, bis aller Tage Abend ist.
Es gelingt der Delegation nicht, mich dazu zu bewegen, das Camp zu verlassen. Bruno ist auf meiner Seite. Er weigert sich gleichfalls, mich im Stich zu lassen; auch er ist sich sicher, dass Hans noch am Leben ist und in den Weiten der Wüste den Besitzer wechselt. Da die Sonne schon untergeht, geben die beiden Botschaftsvertreter schlieÃlich auf und räumen uns ein paar Tage Bedenkzeit ein, vorausgesetzt, wir sind bereit zur Kooperation mit einem Offizier, den sie im Camp zurücklassen werden und der in engem Kontakt zu den Einheiten der Afrikanischen Union steht, die in diesen Sektor entsandt sind.
Als der Flieger vom Boden abhebt, überwältigt mich ein Gefühl abgrundtiefer Verlassenheit. Wenn der Hirte nun doch recht hätte und Hans seinen Verletzungen erlegen wäre? Diese nicht ganz von der Hand zu weisende Möglichkeit gibt mir den Rest. Meine Knie werden weich, und ein furchtbarer Schmerz bemächtigt sich meiner, ergreift Besitz von Körper und Geist.
In der Kantine starre ich auf meinen Teller, ohne das Essen anzurühren. Ich würde mich doch nur an meiner eigenen Spucke verschlucken. Das Klappern und Klirren der Gabeln dröhnt in meinem Schädel wie Eisregen, zermörsert meine Gedanken zu winzigen Glassplittern. Bruno merkt, dass es mir zusehends schlechter geht und fasst nach meiner Hand; seine Geste hat die Wirkung eines Bisses auf mich. Ich entschuldige mich und gehe hinaus, um frische Luft zu schnappen.
Ich laufe ziellos durch die Nacht, ohne zu wissen, wohin. Bilder von Hans kreisen durch meinen Kopf. Ich sehe ihn vor mir, am Steuer seiner Yacht; sehe ihn durch den Talweg hinken, während sein Hemd in der Wunde festklebt; sehe, wie er bei Jessicas Begräbnis um Worte ringt und wie er sich unter der Sonne von Scharm el-Scheich mit seinem Panamahut Kühlung zufächelt. Es fühlt sich an, als wäre ein Stück aus meinem Universum herausgebrochen, als hätte Hansâ Abwesenheit einen gigantischen Krater zwischen mir und der Welt aufgerissen. Sosehr ich den Gedanken an seinen möglichen Tod auch zu verdrängen versuche, er lässt sich nicht verscheuchen, kommt immer wieder zurück, so wütend und beharrlich wie eine Hornisse.
Elena findet mich auf der anderen Seite des Gitterzauns unter einem Baum â ein bangendes Häufchen Elend. Sie beugt sich über mich, redet mit mir, dringt nicht zu mir durch. Da sie keine Antwort bekommt und auch sonst keine Reaktion bei mir sieht, nimmt sie mich kurzentschlossen in die Arme, und ich überlasse mich ihr wie ein kleines Kind.
3.
Ich brauchte einen Menschen.
Und Elena war da.
Wenn der Tod sich wie ein Vampir in deinem Geist festbeiÃt, dann muss das Leben reagieren; es geht um seine Glaubwürdigkeit, sonst wäre es nicht das Leben. Und eben das ist mir wohl passiert. Hansâ mutmaÃlicher Tod hat meinen Ãberlebensinstinkt reaktiviert. Indem ich Elena liebte, habe ich mir
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