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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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stand wie ein Verdammter vorm Höllentor, und ich bekam Angst vor meinen eigenen Schatten, die der Flammentanz als wilden Reigen flackernder Zeichen an die Wände warf. Ich habe ein Dutzend Bierdosen auf dem Tisch aufgebaut, neben einem Apfelstrunk und einem Teller mit Essensresten, und sie der Reihe nach in mich hineingeschüttet, Dose um Dose, bis ich nicht mehr klar denken konnte. Dann bin ich ruhelos durch mein Chalet geirrt. Ein Kamm, der herumliegt, ein Negligé oder ein auf dem Nachttisch vergessener Ohrring – jedes Überbleibsel von Jessica ist die reinste Tortur. Sie fehlt mir so sehr, ihre Abwesenheit wirft mich auf mein nacktes Witwertum zurück, meine verpatzte Trauerzeit, meinen Schmerz – einen rückhaltlosen Schmerz, vor dem es kein Entrinnen gibt. Mit zittrigen Beinen und benebeltem Geist bin ich ins Schlafzimmer gewankt. Mein Bett, das früher so schmal war, kam mir öder und weiter vor als jede Geröllwüste. Kaum war ich eingenickt, bin ich schon wieder hochgeschreckt, und mir war klar, ich würde vor dem Morgengrauen kein Auge zutun. Immer dasselbe Bild tauchte beharrlich vor meinem Auge auf: eine vor Asche überquellende Urne, und mittendrin, auf einem Berg von Zigarettenstummeln, in stolzer Pose ein Raubvogel, der sich für Phönix hält. Ich habe eine Weile über den Symbolgehalt dieses surrealen Bildes nachgegrübelt und nichts begriffen. Dann habe ich das Kissen in den Arm genommen, auf der Suche nach Nähe, und mich der sanften Narkose der Depression überlassen.
    Nach einer Woche kehre ich nach Frankfurt zurück. Zerknautscht und zerknittert wie ein altes Wäschestück, hundeelend, mit wirrem Haar, hohlen Wangen und Stoppelbart … Ein Nachbar hat Claudia offenbar Bescheid gegeben, denn keine Stunde später steht sie vor der Tür.
    Â»Kurt, was tust du dir an …? Und dann rauchst du auch noch …! Das ganze Haus ist nikotinverpestet! Sieh dich doch mal im Spiegel an! Zum Steinerweichen!«
    Ich leere mein Whiskyglas auf einen Zug und schleudere es gegen die Wand. Claudia geht hinter ihren Armen in Deckung. Ich lache hämisch über ihre Sprachlosigkeit, stolpere ins Wohnzimmer und baue mich kühn vor Jessicas Foto auf; es ist das erste Mal seit meiner Rückkehr aus Afrika, dass ich den Mut habe, ihr ins Gesicht zu sehen.
    Â»Ist mein Haus nicht wunderschön?«, frage ich sie. »Hat mich ein Vermögen gekostet. Diese Vorhänge! Und die Polstergarnitur! Selbst ein Prinz würde mich darum beneiden! Und ich, bin ich vielleicht kein ansehnlicher Kerl? Was gefällt dir denn nicht an mir? Ich habe eine eiserne Gesundheit, eine elegante Erscheinung und einen wachen Verstand. Jeder Filmstar würde auf mich fliegen.«
    Â»Kurt«, fleht Claudia mich an, »beruhige dich doch, bitte!«
    Ich versetze dem Lederpuff einen Fußtritt und wäre dabei fast selber umgekippt.
    Ich beginne zu deklamieren:
    Wir loderten vor Liebe
    Vor Liebe brannten wir
    Im Sommer Herbst und Winter
    In Tausendfacher Gier
    Zu jeder Jahreszeit
    Die Zeit ist heute weit
    Â»Kurt, um Himmels willen …«
    Â»Um Himmels willen …? Der Himmel, der hat hier gar nichts zu wollen; hier auf dieser verdammten Erde spielt die Musik, wo sich alles auflöst, alles verwest … Claudia, ganz ehrlich: Bin ich noch ein ansehnlicher Kerl?«
    Â»Ja, natürlich …«
    Â»Und warum habe ich dann so wenig Selbstachtung?«
    Â»Aber wovon redest du denn nur?«
    Â»Von der da rede ich!!!« Und fege mit der Hand Jessicas Porträt zu Boden, das klirrend zerspringt. »Ich rede von Jessica, meiner Jessie, meiner süßen besseren Hälfte, meinem Traum, der sich in Badeschaum aufgelöst hat … Wie konnte sie mir das antun? Ich habe in Afrika Menschen gesehen, denen klebte die nackte Haut auf den Knochen, die hatten nichts zu beißen und nichts vom Leben zu erwarten, und trotzdem kämpften sie um jede Sekunde dieses Lebens. All ihrer Habe beraubte, verfolgte, auf die Stufe ihres eigenen Viehs gesunkene Menschen habe ich gesehen, die man aus ihren armseligen Dörfern verjagt hatte und die sich mit Straßenräubern und Krankheiten herumschlagen mussten, während sie hilflos durch die Lande irrten, und stell dir nur vor: So arm und wehrlos sie auch waren, sie wollten nicht auf ein einziges Krümchen ihrer jämmerlichen Existenz verzichten. Und Jessica, die alles hatte, um glücklich zu sein,

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