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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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weg; was ist da noch zu sagen? Ich denke an mein früheres Leben zurück, ein so bezauberndes, locker-leichtes Leben, dass es mir heute wie eine Farce erscheint. Ein steriles Leben auch, ein Leben im Gleichtakt, das Tag für Tag auf dieselbe Art begann und zu Ende ging: ein Küsschen am Morgen, zwei Küsschen am Abend, eines beim Nachhausekommen, eines vor dem Schlafengehen; und nicht ein Anruf, nicht eine SMS ohne das abschließende »Ich liebe dich« – kurz, das alltägliche Glück, das man für immer errungen glaubt, so unbestreitbar und sicher, wie der Sommer auf den Winter folgt. Ach, dieses Glück … Stein der Weisen, gebändigter Traum, Paradies auf Erden, dessen zerstörerischer Gott und geliebter Dämon man gleichzeitig ist … dieses verflixte Glück, das auf so wenig beruht und doch die kühnsten Fantasien und Ambitionen aussticht … dieses Glück, das letztlich nur im Schutz naiver Illusion Bestand hat … Hatte ich je erwogen, dass es so verletzlich sein könnte? Nicht einen Augenblick … Und an einem ganz gewöhnlichen Abend, an einem Abend, der auf Abertausende gewöhnlicher Abende folgt, bricht alles ein. Was man sich schon aufgebaut hat, was man erst noch erobern wollte, pffft! , verpufft mit einem einzigen Fingerschnippen. Man stellt fest, dass man als Schlafwandler auf dem Seil des Lebens unterwegs war. Von heute auf morgen kommt der schmucke Kurt Krausmann, der einst mit Argusaugen über den akkuraten Sitz seiner Bügelfalten wachte, kommt dieser seriöse Herr Doktor Krausmann auf der Lade­fläche eines demolierten Pick-ups wieder zu sich, umringt von struppigen Killern in einem ihm fremden Land, in dem ein Menschenleben nicht mehr wert ist als die Geste, die es auslöscht … Wie traurig!
    Der dritte Tag geht zur Neige, da erreichen wir ein Plateau, das die Strahlen der untergehenden Sonne wie ein Spiegel reflektiert, deren Abglanz trügerische Oasen in die Landschaft tupft. Es ist ein anthrazitfarbenes Gelände voller Geröll, das zunehmend der Verwüstung anheimfällt. Hier und da verrät eine sich dehnende Anhäufung von Buschwerk, dass dort vormals ein Bach plätscherte oder ein Fluss sich schlängelte. Einige rachitische Bäume recken, Besiegten gleich, schwankend ihre Äste gen Himmel – aber noch immer ist nirgendwo ein Dorf in Sicht.
    Die Nacht verbringen wir in einem Hohlweg, doch schon im Morgengrauen bricht unser Konvoi in Richtung Westen auf, vorbei an der nächstgelegenen »Station«. Doch diesmal scheint das Versteck schon von anderen Banditen aufgespürt worden zu sein: Wir finden nur noch leere Kanister und aufgeschlitzte Proviantsäcke vor. Da die Gegend nicht mehr sicher ist, ordnet Moussa die sofortige Weiterfahrt zum nächsten Etappenziel an. Eine bleierne Sonne sticht während der ganzen Fahrt auf uns herab. Der Pick-up ist der reinste Dampfkessel; ich zerfließe vor Schweiß, die Ladeklappe verbrennt mir den Rücken, das Bodenblech die Füße. Da unsere Entführer nun gezwungen sind, die Fahrt ohne Erfrischungspause fortzusetzen, überlassen sie sich schlapp und verdrossen dem Geholper; manche dösen mit offenem Mund vor sich hin, die Waffe zwischen den Oberschenkeln. Nur Blackmoon behält mich weiterhin so genau im Auge, als wäre ich das Einzige, was für ihn zählt.
    Als wir uns aus einem steinigen Gewirr von Pfaden herauswinden, überholt uns der Jeep und nötigt die beiden Pick-ups, hinter ihm anzuhalten. Moussa, der Boss, springt zu Boden und hält sich den Feldstecher vor die Augen. Er zeigt auf irgendetwas am Horizont. Joma nimmt ihm das Fernglas aus der Hand. Nach längerer Beobachtung nickt er zustimmend. »Ein Dorf, neun Stunden von hier«, erklärt Moussa und klettert wieder in seinen Jeep. Die drei Fahrzeuge wenden und brettern Richtung Süden, einem Dorf entgegen, das, wie sich herausstellt, in Wirklichkeit nur ein zerrupfter Weiler ist.
    Vom Dröhnen der Motoren alarmiert, stiebt ein Schwarm Kinder aus den ärmlichen Hütten und saust zu einer Felssäule, um sich dahinter in Sicherheit zu bringen. Der Kleinste, splitterfasernackt, stolpert und fällt. Zwei Jungen bleiben stehen und rufen ihm etwas zu, wohl dass er schnell aufstehen solle, dann laufen sie zu ihm und helfen ihm auf die Beine, und im Nu sind sie alle hinter den Felsen verschwunden. Die drei Geländewagen der Piraten fahren auf

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