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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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überfordert mich; ich bin grenzenlos müde und davon überzeugt, dass dieser Irre mich früher oder später sowieso umlegen wird. Nicht einen Funken Verständnis bringt er für mich auf; mit jeder Faser seines Wesens verachtet er mich. Er hat versprochen, mich auf kleiner Flamme schmoren zu lassen, bis ich ihm auf der Zunge zergehe. Und er wird Wort halten. Er ist auf Hass programmiert, nichts auf der Welt wird ihn davon abbringen.
    Hans ruft in Panik: »Ich fleh dich an, Kurt, tu, was er dir sagt!«
    Der Boss versucht, näher zu kommen, doch der Koloss hält die Waffe auf ihn und nötigt ihn zum Rückzug.
    Â»Misch du dich da nicht ein, Moussa. Das geht nur ihn und mich was an.«
    Â»Vergiss nicht, dass er meine Geisel ist.«
    Â»Das ist mir so was von egal. Ich habe nicht zu den Waffen gegriffen, um Kohle zu scheffeln, sondern um Prinzipien zu verteidigen. Eins garantier ich dir: Wenn er sich nicht vor mir zu Boden wirft, dann mach ich kurzen Prozess mit ihm.«
    Der Boss fordert mich auf, mich zu fügen. Ich schüttele den Kopf. Jetzt zielt die Kanone direkt auf meine Stirn. Abgrundtiefes Schweigen hat sich über den Hügel gelegt. Auf der Ladefläche des Pick-ups stehen die Männer in gespannter Erwartung, meinen Schädel explodieren zu sehen. Hans ist wie versteinert; seine Schreie haben ihn erschöpft. Der restliche Trupp hinten auf der Piste rührt sich nicht mehr. Man ahnt wohl, dass die Lage sich zugespitzt hat, und wartet lieber ab, wie es ausgeht. Die beiden Greifvögel am Himmel ziehen jetzt nur noch in Zeitlupe ihre Kreise; ihre Schatten gleiten über den Boden wie ein böses Omen.
    Â»Ich zähle bis drei«, dröhnt der Koloss. »Eins …, zwei …«
    Da tritt mir Blackmoon, den ich nicht habe kommen sehen, von hinten kräftig in die Wade, und ich falle auf die Knie. Dass das Ganze nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, scheint den Koloss nicht zu stören. Hauptsache, er sieht mich am Boden.
    Â»Siehst du?«, frohlockt er. »War doch gar nicht so schwer.«
    Â»Mensch, Joma, was ist bloß in dich gefahren?«, schreit Moussa.
    Â»Ich zeige diesem Mistkerl, was Afrika ist. Er soll endlich kapieren, wer heute hier das Sagen hat.«
    Er packt mich am Hals, würgt mich und legt los:
    Â»Keine Rasse ist der anderen überlegen. Seit Urzeiten entscheidet allein das Machtgefälle darüber, wer Herr und wer Untertan ist. Und heute ist die Macht auf unserer Seite. Selbst wenn ich in deinen Augen nur ein blöder Neger bin, sage ich doch, wo’s langgeht. Wissen, sozialer Rang, Hautfarbe – nichts ist mehr wichtig im Angesicht eines einfachen Schießprügels. Hast du vielleicht geglaubt, du wärst dem Schenkel Jupiters entsprossen? Ich werde dir beweisen, dass du eine gewöhnliche Missgeburt bist, aus einem Arschloch hervorgekrochen wie wir alle. Deine ganzen akademischen Titel und deine westliche Arroganz sind wertlos, wo es nur eine Kugel braucht, um dir all deine feinen Privilegien abzujagen. Du bist im Westen geboren? Da hast du Glück gehabt. Aber deine Wiedergeburt, die findet soeben in Afrika statt. Und du wirst schon noch begreifen, was das heißt.«
    Er stößt mich von sich und stapft zur Piste zurück – wie ein Menschenfresser ins Dunkel der Nacht.
    Â»Was ist dein Problem mit diesem Mann?«, schreit Moussa ihn an.
    Â»Seine Augen sind mir zu blau«, kontert der Koloss und marschiert ungerührt weiter.
    Arme umfassen mich und helfen mir hoch. Ich bin wie gelähmt. Es kommt mir alles so surreal vor, so grotesk, irgendwie unwahrscheinlich. Ich bin, wie neulich der Anhalter, haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschlittert, nur dass ich nicht den Eindruck habe, auch nur im Geringsten ein Gespür für den Ernst der Lage gehabt zu haben. Sehr merkwürdig fühlt sich das an, es erschreckt mich und entzieht sich mir zugleich. Mein Geist ist wie betäubt.
    Moussa schießt in die Luft, um seine Autorität wiederherzustellen. Der Krach der Detonation reißt mich kaum aus meiner Lethargie. Man hilft mir zur Piste zurück und hinauf auf die Ladefläche des Pick-ups. Während sie mich an Bord hieven, flüstert Blackmoon mir ins Ohr, dass Joma mich umgelegt hätte, wenn er, Blackmoon, mich nicht sozusagen in die Knie gezwungen hätte … Umgelegt? Ich habe Mühe, den Sinn des Worts zu erfassen. Hat es überhaupt eine Bedeutung? Wenn ja,

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