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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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einen Rest von Kraft in mir hätte, würde ich ihm glatt ins Gesicht springen.
    Er deutet auf den Patienten.
    Â»Er hat sich ’ne Malaria eingefangen. Versuch, ihm Erleichterung zu verschaffen. Er ist ein guter Mann.«
    Es widerstrebt mir, mich diesem Kranken zu nähern, ihn auch noch anzufassen. Meine Aversion windet sich in mir wie ein Reptil. Sie steigert meine Sinnesschärfe und peitscht das letzte bisschen Aggressivität in mir wach, das ich noch habe. Ich bin überrascht, um nicht zu sagen empört, dass man nach allem, was man Hans und mir bisher zugemutet hat, mich jetzt um ärztlichen Beistand angeht. Ich mustere den Boss, er kommt mir ebenso erbärmlich vor wie sein Patient. Angst habe ich keine vor ihm, empfinde nichts als Verachtung für sein autoritäres Ban­ditengehabe, nichts als Abscheu für dieses geistesgestörte Monster hinter seiner Sturmlampe und kalten Hass für diese ganze Bande Degenerierter, die sich da in freier Wildbahn austobt und, epidemischen Viren gleich, die halbe Welt zu verseuchen droht … Merkwürdigerweise, da hat mein ärztlicher Reflex mich wohl ausgetrickst, gehe ich dennoch in die Hocke, fasse nach der Hand des Kranken, fühle seinen Puls, horche ihn ab; er ist in einem jämmerlichen Zustand.
    Â»Haben Sie Chinin da?«, frage ich.
    Â»Noch nicht einmal ein halbes Aspirin«, erklärt mir der Boss.
    Â»Und was erwarten Sie von mir?«
    Â»Dass du ihn gesund machst.«
    Â»Womit denn?«
    Â»Das ist deine Sache. Du bist doch der Arzt, oder etwa nicht?«
    Ich erhebe mich und blicke dem Boss ins Gesicht. Sein Dünkel und seine Wichtigtuerei stacheln meine Aversion aufs Neue an. Wir stehen uns gegenüber, Nase an Nase; mein Blick versucht, den seinen zu durchbohren. Ich hätte nicht gedacht, jemals ein Gefühl derart glühender Feindseligkeit verspüren zu können. Ich weiche einen Schritt zurück, um seinem alkoholgeschwängerten Atem aus dem Weg zu gehen, und erkläre mit einer Stimme, in der meine ganze Verachtung mitschwingt:
    Â»Ich bin Arzt und kein Hexer. In meinem Beruf geht es nicht darum, jemanden in Trance zu versetzen oder die Geister der ­Ahnen zu beschwören, um eine Krankheit zu vertreiben. Was Ihr Freund braucht, sind Medikamente, keine Voodoo-Sitzung.«
    Â»Sieh dich bloß vor, was du sagst«, droht Joma mir.
    Der Boss weist ihn mit herrischer Hand zurecht. Nachdem er einen Moment darüber nachgedacht hat, was ich gesagt habe, wendet er sich, das Kinn mit Daumen und Zeigefinger umfassend, von mir ab. Zur großen Enttäuschung des Kolosses, der an seinem Protestgebell fast erstickt:
    Â»Wie? Er spricht in diesem Ton mit dir, und du weist ihn nicht in seine Schranken?«
    Â»Er hat recht, Joma. Ewana braucht Medikamente, und die haben wir nicht.«
    Â»Und wenn schon!«, schimpft Joma. »Deshalb muss uns dieses Milchgesicht noch lange nicht so von oben herab behandeln. Glaubt er denn, er hätte es mit Höhlenbewohnern zu tun? Was sollte das mit dem Voodoo? Wenn ich du wäre, würde ich ihm die Fresse mit dem Wagenheber polieren, um ihm seine Arroganz heimzuzahlen.«
    Â»Nun mach mal halblang«, beschwichtigt ihn der Boss. »Die Reise war anstrengend, und ich bin erschöpft. Bring den Doktor zurück.«
    Mit müder Hand entlässt er uns.
    Kaum haben wir das Zelt verlassen, rammt Joma mir den Gewehrkolben in den Rücken, damit ich schneller gehe.
    Â»Du bist wohl ein ganz Hartgesottener, was?«
    Ich antworte erst gar nicht.
    Er packt mich am Hemdkragen und wirbelt mich herum.
    Â»Und ich, ich bin ein alter Kochtopf. Ein Kessel, der im Höllenfeuer geschmiedet wurde. Du wirst schon sehen, ich werde dich so lange auf kleiner Flamme schmoren, bis du mir auf der Zunge zergehst.«
    Unter furchterregendem Grinsen bleckt er die Zähne.
    Ich mustere ihn bekümmert und blicke dann zum blassen Himmel empor, um unter den Tausenden von Sternbildern, an denen in dieser Nacht meine Gebete abprallen, nach dem einen, meinem Stern zu suchen. Eine dunkle Ahnung beschleicht mich: Ich habe mir soeben einen erbitterten Feind gemacht.
    Als ich aufwache, hockt neben mir der Boss. Hinter einer Sonnenbrille verschanzt und in Drillichuniform. Er hatte nicht damit gerechnet, Hans und mich in einem derart erbärmlichen Zustand vorzufinden. Er springt auf, durchmisst mit zornigem Schritt die Höhle, kickt mit dem Fuß eine Konservendose zur

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