Die Landkarte der Finsternis
einem kleinen Platz vor, der von einer Handvoll verlassen wirkender Strohhütten umringt ist. Moussa steigt als Erster aus und ballert in die Luft, um das Wild aufzuscheuchen, doch ohne Erfolg. Seine Männer stürzen mit tierischem Gebrüll in die Hütten; mit leeren Händen kommen die einen wieder heraus, die anderen mit kläglichen Funden, einem säuerlich riechenden Hirsefladen, einer angebrochenen Milchpulvertüte, einer alten Decke. Vor einer der Hütten hockt, den Körper auf einen steinalten Stock gestützt, ein kahlschädliger Greis. Gelassen, mit undurchdringlicher Miene, kauert er auf der Schwelle, in einen Ãberwurf gewickelt, der so alt ist wie die Welt, und schenkt dem Ãberfall der Banditen so wenig Beachtung, als wäre er sein Leben lang ausgeplündert worden. Auf der zerfetzten Matte neben ihm betrachtet eine Greisin das Treiben ringsum, ohne es zu sehen. In ihrem alterslosen Gesicht klaffen zwei trübe, vom Trachom zerfressene Augen, deren Blick längst erloschen ist. Der Kanga, den sie trägt, bedeckt nur mühsam ihre BlöÃe, und ihre verschrumpelten Brüste, die ganze Generationen von Nachkommen gestillt zu haben scheinen, hängen auf ihre zum Gerippe abgemagerten Hüften herab wie zwei eingetrocknete Kürbisse. In seiner bedrückenden Ãrmlichkeit gibt das ganze Ensemble so etwas wie eine Topographie des Unglücks ab. Zwei der Piraten drängen an ihnen vorbei in die Hütte und zerren eine laut meckernde Ziege ins Freie. Die beiden Alten rühren sich nicht, drehen sich noch nicht einmal um; verharren so reglos, als wären sie ausgestopft.
Ich bin schockiert von der Hemmungslosigkeit, mit der diese Strolche derart verelendete Menschen ausplündern, und doppelt schockiert von der Gleichgültigkeit der beiden Alten, die stumm und tatenlos zusehen, wie man sie ihrer Ziege, ihrer vermutlich einzigen Habe, beraubt, so als handelte es sich um ein banales Missgeschick, eine reine Formsache.
Moussa ordnet den Rückzug an. Die Fahrzeuge drehen inmitten der verlassenen Hütten eine letzte einschüchternde Runde, die Piraten schieÃen zum krönenden Abschluss des grandiosen Raubzugs noch ein paarmal in die Luft, dann setzt der Konvoi seinen Weg fort. Ich weià nicht, warum, aber als der Pick-up an den beiden sprachlosen Alten vorbeirollt, halte ich ihnen meine aneinandergefesselten Handgelenke hin. Als wollte ich mit diesem völlig nutzlosen Reflex um Entschuldigung bitten, wider Willen zum Zeugen dieses traurigen Schurkenstreichs geworden zu sein. Einer der Piraten, dem meine Geste nicht entgangen ist, verzieht spöttisch das Gesicht, wie um zu sagen: Ja und? Was hättest du schon groà ausrichten können, auÃer die Hände vors Gesicht zu schlagen?
Am vierten Tag gelangen wir zu einem Plateau von kosmischer Unberührtheit: ohne das geringste Grün, ohne einen Tropfen Wasser, ohne einen Fleck Schatten. Eine Ebene mit glühend heiÃem Felsgeröll, voller Lichtreflexionen, die so schneidend scharf sind wie Rasierklingen. Eine Erde wie nach dem Urknall, voller Höllenschleim, die noch ihre ursprüngliche Färbung aufweist, ockerfarben wie der erste feine Film sedimentärer Ablagerungen, lange Zeit vor den ersten Regenfällen, den ersten Grashalmen, den ersten Zuckungen des Lebens.
Am Himmel ziehen zwei Greifvögel gelassen ihre Kreise, doch der majestätische Schein trügt. Auf einem nackten Hügel flattert eine Gruppe von Geiern um eine gestaltlose Masse herum. Ist es ein Tier oder ein Mensch? Die Geier hacken reihum auf ihre Beute ein, rücksichtslos und zugleich so bedächtig wie jemand, der seinen wohlverdienten Festschmaus genieÃt. Der kräftigste der Vögel wendet kurz seinen Kopf zum Konvoi, nicht im Mindesten beeindruckt durch die Nähe der Piste. Klar und deutlich kann ich seinen kahlen Hals und seinen blutbefleckten Schnabel erkennen. Und plötzlich glaube ich zu sehen, wie sich inmitten all der Flügel ein Arm bewegt.
»Da vorn ist jemand!«, brülle ich dem Fahrer zu. »Haltet an, da ist ein Mensch, die Geier fallen über ihn her, aber er lebt noch â¦Â«
Meine Entführer fahren auf und greifen instinktiv, in Erwartung eines feindlichen Angriffs, zu ihren Waffen. Joma dagegen fährt einfach weiter.
»Anhalten, bitte! Da vorne ist jemand, und er ist verwundet â¦Â«
Joma wirft mir einen Blick im Rückspiegel zu und tippt sich
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