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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Staub ins Gesicht weht, den er schaufelweise auf­wirbelt, das alles ist ihm egal. Seine Kumpane finden seinen draufgängerischen Fahrstil seltsamerweise lustig und grölen jedes Mal vor Lachen, wenn ein jäher Ruck sie gegeneinanderwirft.
    Ich mit meinen gefesselten Handgelenken klammere mich, so gut es eben geht, an die Sitzbank; aber das Rumpeln der Achsen geht mir durch Mark und Bein.
    Dem Stand der Sonne nach zu schließen, fahren wir direkt gegen Westen.
    Nach etwa hundert Kilometern wird die Tortur erträglicher. Aber nirgendwo eine Gebäuderuine, die von menschlichen Ansiedlungen in der Nähe zeugte. Nur ein Tal, das, so weit der Blick reicht, mit knorrigem Buschwerk bedeckt ist, gesichtslos und zum Verzweifeln monoton. Für jemanden, der nach einem Anhaltspunkt sucht, um im Fall der Flucht wenigstens eine Orientierung zu haben, könnte nichts deprimierender sein!
    Der Konvoi macht am Fuß eines staubumwölkten Berges halt; es ist der einzige Ort weit und breit, der unter Umständen als Merkzeichen taugt. Den Jungen, der mir zu essen bringt, frage ich, ob das ein heiliger Berg sei und ob er zufällig wisse, wie er heißt. Wie aus der Pistole geschossen erwidert hinter mir Joma, den ich gar nicht habe kommen sehen und dem sofort klar ist, worauf ich hinauswill, dass das der Kilimandscharo sei, Hemingways mythischer Berg, von dem infolge der Klimaerwärmung und der Schneeschmelze nur das hier noch übrig sei: ein gewöhnlicher Felsen, der aus einem Krater aufragt und so unscheinbar ist, dass er weder künftige Barden noch verbannte Gotteskrieger zu inspirieren vermag. Der Junge bricht in lautes Lachen aus, und der Koloss macht mit zwei Fingern »paff!« – höchst zufrieden über sein eins zu null gegen mich.
    Hans habe ich während des gesamten Zwischenstopps, den ich an eine Baumwurzel gefesselt zugebracht habe, nicht einmal zu Gesicht bekommen.
    Plötzlich, wie aus dem Nichts, kauert auf einer Anhöhe eine zerlumpte Gestalt, ein Mann. Als er den Konvoi entdeckt, ergreift er sein Bündel und hastet mit ausladenden Gesten den Hang ­hinunter … Der Pick-up steuert zur Seite und fährt dem Anhalter entgegen, der jetzt am Rand der Piste angelangt ist. Statt zu bremsen, gibt Joma Gas und hält voll auf den Unbekannten zu. Völlig überrascht vom brutalen Richtungswechsel des Fahrzeugs, hat der Mann gerade noch Zeit zurückzuspringen, um nicht angefahren zu werden, und fällt auf den Rücken. Sein Anblick löst bei den Piraten um mich herum schenkelklopfendes Gelächter aus … Gerade will der arme Teufel sich aus dem Staub hochrappeln, da biegt der uns nachfolgende Jeep von der Piste ab und brettert gleichfalls direkt auf ihn zu. Erst blickt er verdutzt, der wundersam Errettete, dann begreift er, dass seine Haut noch nicht wirklich gerettet ist und er blitzschnell reagieren muss, um mit einer einem Menschen im Normalfall gar nicht möglichen Verrenkung den Rädern auszuweichen, die nur wenige Zentimeter an seinem Kopf vorbeirattern. In panischer Verwirrung lässt er sein Bündel liegen und rast in Richtung Anhöhe davon, ohne sich auch nur einmal umzusehen. Seine wilde Flucht ruft bei meinen Entführern einen erneuten Sturm der Heiterkeit hervor. In ihrem übertriebenen Gelächter liegt etwas Vermessenes, das sich jeglicher Logik entzieht. Es ist ein stolzgeblähtes Lachen, als flöße ihnen die Straffreiheit, die sie selbstherrlich für sich reklamieren, ein heldenhaftes Hochgefühl ein, ein Gefühl der Unbesiegbarkeit. Und dann lachen sie auch, weil sie merken, dass ihre Haltung mich nicht weniger schockiert als die kriminellen Fahrmanöver der beiden Geländewagen. Mehr als verzweifelt muss ich mir eingestehen, dass diese Wesen, die mich gefangen halten und über mein Schicksal entscheiden, diese Wesen, die nicht die Spur eines Gewissens haben, sich keineswegs damit begnügen, Töten als willkürlichen Akt zu banalisieren, sondern auch noch lauthals darauf pochen, dass das ihr gutes Recht sei.
    Mein Blick gleitet von den Entführern zu dem armen Teufel hin, der mit großen Sprüngen den Hügel erklimmt. Und in ebendiesem Moment wüsste ich nicht zu unterscheiden, wo mein Entsetzen aufhört und mein Mitleid beginnt. Die Piraten und der gerade noch mal Davongekommene sind Ausdruck ein und derselben menschlichen Misere. Meiner Empörung zieht es den Boden unter den Füßen

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