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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Seite, die scheppernd hinten im Halbdunkel landet, dann, unfähig, an sich zu halten, geht er auf den Koloss zu und schnauzt ihn an:
    Â»Hattest du sie etwa die ganze Zeit über so angebunden?«
    Â»Ich habe nicht genug Männer, um auf sie aufzupassen«, presst der Koloss zwischen den Zähnen hervor.
    Â»Ich habe dich nicht darum gebeten, sie in Ketten zu legen!«
    Ungehalten über die Schelte murrt der Koloss:
    Â»Wie hätte ich sie denn deiner Meinung nach behandeln sol­­len, Moussa? Vielleicht in Watte packen? Wir hatten selber nichts zu essen, und der Komiker, den du beauftragt hast, unseren Unterschlupf instand zu halten, hat das Trinkwasser vergeudet und die Konservenbüchsen in der Sonne verderben lassen.«
    Â»Wir reden von Geiseln, Joma. Das sind doch keine verdammten Kriegsgefangenen!«
    Â»Ach, gibt es da einen Unterschied?«
    Â»Einen gewaltigen!«, schreit der Boss, den die Gleichgültigkeit seines Untergebenen auf die Palme bringt.
    Der Koloss zuckt kurz zusammen, dann mault er:
    Â»Wenn du mir Vorwürfe machen willst, Moussa, dann unter vier Augen. Ich kann es nicht leiden, wenn man mich vor Fremden runtermacht …«
    Â»Du kannst mich mal mit deinen Empfindlichkeiten, Joma!«, wettert der Boss, während er schon die Höhle verlässt.
    Wenige Minuten später werden wir losgebunden. Ein Haufen winziger elektrischer Funken durchfährt mich, sobald ich einen Finger oder Zeh bewege. Meine Handgelenke sind von schwärzlichem Grind bedeckt, meine Hände blassgrau. Hans muss auf die Schnelle ein ganzes Reha-Programm absolvieren, bevor es ihm gelingt, sich am Boden abzustützen und aufzurichten. Seine Gelenke sind völlig blockiert, und er schafft es nicht, seine Arme nach vorne zu nehmen. Der Blutfleck auf seinem Hemdrücken ist ganz schwarz. Wir werden zu einem sumpfigen Wasserbecken unweit der Höhle geschleift, um uns den gröbsten Schmutz herunterzuspülen und unsere Kleider zu waschen, die dann auf unserer bloßen Haut trocknen sollen. Hans torkelt, von Krämpfen geschüttelt, auf steifen Beinen herum; er klagt über Magenschmerzen und Schwindelgefühl, aber unsere Entführer verbieten mir, mich ihm zu nähern. Nach der Katzenwäsche werden wir zurück in die Höhle gebracht und bekommen ein Stück Fisch und einen Brocken Fladenbrot zu essen. Das verunreinigte Brackwasser hat unsere Wunden wieder aufgeweicht, die jetzt, vom Schorf befreit, zu bluten beginnen und die Fliegen in einen Taumel der Begeisterung versetzen.
    Am Nachmittag gibt Moussa seinen Männern den Befehl, die Evakuierung vorzubereiten. Im Nu ist das Zelt abgebaut und das Marschgepäck der Piraten nebst den Vorratssäcken in den Fahrzeugen verstaut. Hans und ich werden jeder in einen Geländewagen gestoßen, und schon rattert der kleine Konvoi los. Ich bin so erleichtert, aus dieser Höhle wegzukommen, dass ich mich nicht einmal frage, in welches Räubernest man uns jetzt wohl verfrachtet.
    Wir sind etliche Stunden gefahren, ohne eine Menschenseele zu treffen. Gegen Abend rasten wir in einer Schlucht, deren Ränder mit Gestrüpp bekränzt sind. Die Piraten nennen diesen Ort »Station« – später werde ich erfahren, dass es sich dabei um Plätze handelt, an denen Schmuggler und Rebellen querfeldein Benzinkanister und Wasserbehälter verstecken, um sich versorgen zu können, wenn sie unterwegs sind. Die Fahrer tanken, checken den Luftdruck in den Reifen, sehen nach dem Kühlwasser, dann, nach einem schnellen Abendessen, setzen wir die Fahrt bis tief in die Nacht fort.
    Am nächsten Tag bricht der Konvoi im Morgengrauen schon wieder auf und kämpft sich auf nahezu ungangbaren Pfaden durchs Unterholz. Der Boden ist hart und holperig; die Fahrzeuge poltern heftiger darüber hinweg, als ihnen guttun dürfte. Die Wege sind schmal, meist am Rande der Schlucht und von Buschwerk gesäumt, dessen dornenbewehrte Zweige am Blech entlangschrappen und uns den Rücken aufkratzen; wenn nur ein einziger Stein ins Rutschen gerät, stürzt der Wagen zwangsläufig ab. Joma chauffiert ohne Rücksicht auf Verluste, geschweige denn auf uns, die wir hinten auf der Ladefläche sitzen. Er tritt wie ein Besessener aufs Gaspedal, reißt das Lenkrad blindwütig herum und lässt den Schaltknüppel ächzen. Dass der Motor laut aufheult, dass wir teuflisch durchgerüttelt werden und uns der ganze

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