Die Landkarte der Finsternis
voller Mitgefühl.
Er reicht mir seine Wasserflasche, die ich in einem Zug leere, dann schlafe ich auf der Stelle ein.
7.
Stimmfetzen wirbeln durch den Hof. Bruno, der vor der Gittertür sitzt, winkt mich herbei. Die Piraten haben sich vor dem Eingang zum Kommandoposten versammelt und palavern wild durcheinander. Sie schreien sich die Kehlen heiser, um einander zu übertönen und sich Gehör zu verschaffen. Manche sind kurz davor, handgreiflich zu werden. Wie es aussieht, gibt es zwei Parteien, hier Joma im Bemühen, Herr der Lage zu werden, gemeinsam mit Blackmoon, der, die Hände am Säbelgriff, mit aufgestütztem Kinn auf der AuÃentreppe sitzt, dort die vier auÃer Rand und Band geratenen Piraten. Der GröÃte von ihnen, ein ziemlich hellhäutiger Typ, fast schon ein WeiÃer, dominiert mit seiner Falsettstimme das Protestgeschrei seiner Kameraden. Seine Arme fuchteln ungestüm in der Gegend herum, scheinen den Himmel, das Lager, das Tal, die schäbigen Unterkünfte zu Zeugen zu rufen. Was er in seinem obskuren Kauderwelsch von sich gibt, entzieht sich meiner Kenntnis. Bruno übersetzt mir die explosivsten Redebeiträge und erklärt, dass die Lage sich zuspitzt. Ein dürrer, baumlanger Kerl im Trainingsanzug versucht, zwei Worte zu platzieren, wird aber sofort von einem hitzköpfigen Trampel mit einem Mund, der groà genug wäre, ein StrauÃenei zu schlürfen, zum Schweigen gebracht. Letzterer ist dermaÃen auÃer sich, dass ihm der Schaum aus den Mundwinkeln läuft. Mit seiner Kordel voll Talismane um den Hals reckt er sich auf die Zehenspitzen, um den Ãberblick über seine kleine Welt nicht zu verlieren, und weist auf einen der Lagerflügel hin, doch der baumlange Kerl wischt seine Geste mit einer einzigen HandÂbewegung weg und fährt in seinem Protestgeschrei fort, den Aufruhr aufs Neue entfachend:
»Drei Wochen ist es jetzt her, dass der Hauptmann aufgebrochen ist, um nach Moussa zu suchen. Und wir haben keinerlei Nachricht von ihm. Das ist doch nicht normal.«
»Na und?«, macht Joma, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Auch Proviant haben wir keinen mehr«, bemerkt ein steifer, angespannter Jugendlicher mit unverhältnismäÃig breiten Schultern.
»Wenn es nur das wäre«, trumpft der baumlange Kerl auf. »Der Hauptmann hat eine klare Ansage gemacht. Falls er kein Lebenszeichen von sich gibt, sollen wir das Lager evakuieren und uns nach Punkt D-15 zurückziehen.«
»Wie soll er dir das denn mitgeteilt haben?«, fährt Joma ihn an. »Per Telepathie? Wir haben noch nicht mal eine Funkverbindung zu ihm. Wenn wir gezwungen sein sollten, hier die Stellung zu räumen, dann gehen wir auf Station 28.«
»Das macht doch gar keinen Sinn. Der Hauptmann ist doch selbst zu Punkt D-15 in Richtung Süden aufgebrochen«, wendet der groÃe, hellhäutige Kerl ein. »Da müssen wir hin. Auf Station 28 haben wir nichts verloren. Das ist zwei Tagestouren in Richtung Norden, dafür reicht unser Treibstoff niemals. AuÃerdem ist das eine Risikozone, und wir sind nur sechs Mann. Wie sollen wir denn da kämpfen, wenn wir in einen Hinterhalt geraten?«
»Schluss jetzt!«, wettert Joma. »Das haben wir doch schon gestern diskutiert. Wenn wir das Lager evakuieren, dann nur in Richtung Station 28. Ich bin hier der Chef. Und ich warne euch, ich werde nicht zögern, den Komiker, der es wagt, sich meiner Order zu widersetzen, auf der Stelle zu exekutieren. Das hier ist eine Ausnahmesituation, da gibt es kein Pardon bei Befehlsverweigerung.«
»Für was hältst du uns eigentlich?«, begehrt der Trampel auf. »Für Vieh? Was maÃt du dir an, uns mit dem Tod zu drohen? Wir haben nur festgestellt, dass wir keinen Proviant und keine Nachrichten vom Hauptmann mehr haben. Wie lange sollen wir denn noch hierbleiben? Bis uns ein feindlicher Trupp überfällt?«
»Wir müssen zum Rest der Truppe am Punkt D-15 vorstoÃen«, fordern die »Meuterer«. »Da sind wir richtig.«
Bruno nutzt einen Moment der Unschlüssigkeit, um sich einzumischen:
»Kapiert ihr nicht, was hier gespielt wird? Eure Kameraden werden nicht zurückkommen. Die sind längst mit dem Geld über alle Berge.«
Schlagartig drehen sich alle Piraten zu unserem Kerkerloch um, fassungslos angesichts der dreisten Selbstsicherheit, mit der Bruno seine Behauptung vorträgt.
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