Die Landkarte der Finsternis
Ladefläche geworfen, dazu zwei Rucksäcke, einen Karton mit Konservendosen und Dörrfleischscheiben, eingewickelt in Packpapier, eine MunitionsÂkiste und zwei Ziegenlederschläuche mit Trinkwasser. Bruno und ich knien im Staub und fragen uns, welches Schicksal unser Entführer uns wohl zugedacht hat, während er die letzten Vorbereitungen zum Verlassen des Lagers trifft. Wird er uns töten? Uns hier zurücklassen? Uns mitnehmen? Joma lässt nichts von seinen Absichten erkennen. Er grunzt Befehle, die Blackmoon, hinter einer trotzigen Resignation verschanzt, ohne allzu groÃe Eile ausführt.
»Was geschieht jetzt mit uns?«, fragt Bruno.
Joma prüft akribisch die Vertäuung der Seile und den Sitz der Treibstoffkanister. Die Art, wie er die Knoten zusammenzieht, verrät, dass er innerlich unter Hochdruck steht, und Brunos Frage verstärkt seine Gereiztheit nur noch.
»Sie haben, wie Sie sagen, ja jede Menge Bücher gelesen«, redet Bruno beschwörend auf ihn ein, »und kennen die Werke der gröÃten Dichter quasi auswendig. Daraus haben Sie doch sicher die eine oder andere Lehre gezogen ⦠Lassen Sie uns doch einfach gehen. Oder kommen Sie mit uns. Wir werden auch allen erzählen, dass Sie uns gerettet haben.«
»â¦Â«
»Das hat doch jetzt alles keinen Sinn mehr, Joma. Hat es sowieso noch nie gehabt. Wenn Sie sich mit ein bisschen Abstand betrachten könnten, würden Sie sehen, dass das, was Sie tun, völlig irrwitzig ist. Warum halten Sie uns hier fest, so weit weg von zu Hause, von unserem Zuhause und auch Ihrem Zuhause? Was werfen Sie uns denn vor? Dass wir zufällig des Weges kamen? Wir haben Ihnen doch nichts Böses getan, für mich ist Afrika längst zur zweiten Heimat geworden, und Doktor Krausmann ist im humanitären Sektor tätig. Ãberlegen Sie doch mal! Im humanitären Sektor â¦! Joma, um Himmels willen, lassen Sie uns endlich frei! Hauptmann Gerima ist nichts als ein Betrüger, das wissen Sie doch selbst! Soldaten seines Schlags führen keinen Krieg, die machen Geschäfte. Ideale sind denen ebenso fremd wie Prinzipien. Die würden noch über die Leiche ihrer Mutter gehen, wenn dabei ein paar Groschen herausspringen ⦠Gerima profitiert nur von eurem Frust. Er manipuliert euch alle miteinander. Ich bin mir sicher, er hat seine Männer irgendwo in freier Wildbahn ausgesetzt und ist dann mit einer schönen Stange Geld verduftet. Eure Kameraden haben das längst kapiert. Deshalb sind sie abgehauen.«
Joma macht auf dem Absatz kehrt, geht auf Bruno los und verpasst dem Franzosen einen solchen Tritt in den Unterleib, dass der sich vor Schmerzen krümmt. Keuchend kippt er zur Seite, die Augen schmerzgeweitet.
»Du bist schuld, dass meine Kameraden getürmt sind, du Arsch«, faucht Joma und spuckt ihm ins Gesicht.
Dieser Mensch ist mir ein einziger Graus. Ich bin derart empört, derart angewidert, als hätte er Bruno soeben bestialisch zusammengeschlagen. Voreingenommener könnte mein Verhältnis zu Joma nicht sein: Ich hasse ihn, hasse ihn für das, was er in meinen Augen ist, ein prähistorisches Monster, an dem noch der Urschleim klebt und bei dem die primitivsten Gewaltinstinkte intakt sind, die einmal der Abwehr steinzeitlicher Bedrohungen oder Attacken gedient haben; ein gigantischer Dämon, aus Âeinem einzigen Granitblock gehauen, der blanke Brutalität verströmt: Sein massiger Körperbau, seine Art, sich zu bewegen, sein Tonfall, sein GröÃenwahn, seine übersteigerte Gereiztheit, alles an ihm verrät den geborenen Killer. Ich hasse ihn, weil er alle Vernunft mit FüÃen tritt, weil er Gift und Galle verspritzt und mich schon so erfolgreich damit angesteckt hat, dass ich mich vor mir selber schäme und das Gefühl habe, ihm allmählich ähnlich zu werden, wenn ich ihn noch weiter ertragen muss. Dem aus der Art geschlagenen Arzt, der ich bin, wird schmerzlich bewusst, dass einer von uns zu viel ist auf dieser Erde, dass auf der Welt zwei Wesen wie wir, die alles trennt und zwischen denen keinerlei Gemeinsamkeit auch nur denkbar ist, nie und nimmer am selben Platz existieren können.
Joma kann meine Gedanken lesen. Die grenzenlose Aversion, die er in mir auslöst, scheint ihn auf merkwürdige Weise mit Stolz zu erfüllen. Man könnte meinen, er bezöge seine Genugtuung im Wesentlichen aus dem Abscheu, den er mir
Weitere Kostenlose Bücher