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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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jede Faser des Fruchtfleischs auszukosten. Ich glaube, ich habe wohl zehn Minuten lang, vielleicht sogar noch länger, wie in Zeitlupe gekaut, ohne irgendetwas herunterzuschlucken, um den Genuss so weit wie möglich in die Länge zu ziehen; ein sicherlich überbewerteter Genuss, der mich in diesem Moment aber mit der Elementargewalt eines Orgasmus überkommt. Ich kaue Stückchen für Stückchen, schiebe und wende jedes noch so winzige Teil mehrmals mit der Zunge im Mund hin und her, bis ich es in eine zähe Masse verwandelt habe, an der ich erneut genießerisch zu lutschen beginne; ich habe das Gefühl, eine Frucht ohnegleichen zu kosten. Als nur noch ein schwacher Nachgeschmack der bitteren Schale in meinem Mund zurückgeblieben ist, ruft mich Jomas dröhnendes Gelächter zur Ordnung:
    Â»Aufstehen da drin! Die Schonfrist ist um. Komm raus, du Weichei, na wird’s bald?«
    Arme greifen nach mir, ziehen mich aus meinem Loch, schleifen mich über den brennenden Boden. Man wirft mir meine Kleider ins Gesicht und befiehlt mir, ich solle mich anziehen. Da meine Bewegungen sehr fahrig sind, wird ein Akrobatenstück daraus. Die Sonne versengt mir die Augen. Ich kann das Hemd nicht von der Hose unterscheiden, muss mich auf meinen Tastsinn verlassen. Trotzdem schaffe ich es, mir die Unterhose überzustreifen, dann die Hose. Nach unzähligen Verrenkungen stehe ich vor Joma, der mir, sichtlich stolz auf den Zustand, in den er mich versetzt hat, erklärt:
    Â»Na, Herr Doktor, jetzt hast du wenigstens eine Ahnung davon, was es heißt, Afrikaner zu sein.«
    Bruno entfährt ein Fluch, als Joma mich in den Kerker stößt. Ich stürze bäuchlings zu Boden, mit der Nase in den Staub. Eine Stiefelspitze dreht mich um, und der Koloss mit seinen Amuletten beugt sich über mich, als wäre er der Todesengel, der eine verlorene Seele aufliest, packt mich am Hemdkragen und lässt mich sofort wieder los, gleichsam verärgert über den eigenen Machtmissbrauch.
    Bruno macht seiner Empörung Luft:
    Â»Jetzt sind Sie wohl zufrieden mit sich, Herr Hauptfeldwebel!«
    Der Koloss lässt seine Nackenwirbel knacken und kontert:
    Â»Mit Tressen und Orden behänge ich mich nicht. Solchen Firlefanz überlasse ich den Clowns und Veteranen.«
    Â»Was glauben Sie eigentlich, wo Sie hier sind? In Abu ­Ghraib?«
    Â»Derlei Luxusherbergen kann sich unsereins nicht leisten!«
    Bruno richtet sich auf den Knien auf und schreit ihn an:
    Â»Sie sind ein Unmensch!«
    Â»Das habt ihr euch alles selbst zuzuschreiben, ihr ehrenwerten Vertreter der westlichen Zivilisation. Das haben wir alles von euren Leuten gelernt. Und ich glaube kaum, dass in diesen Dingen der Schüler den Meister übertrifft …«
    Mit einem Kopfnicken befiehlt er seinen Männern, ihm nach draußen zu folgen. Kaum fällt die Tür ins Schloss, kommt Bruno herbeigestürzt und hebt meinen Kopf an. Sein fassungsloser, kummervoller Blick verrät mir, dass mit mir wohl kein Staat mehr zu machen ist.
    Â»Verdammt! Wie eine wandelnde Leiche!«
    Er schleppt mich zu meiner Matte, stopft mir einen Lappen in den Rücken und hilft mir, mich aufzusetzen. Ich würde am liebsten aufstehen und hin- und hergehen, um meine schmerzenden, eingerosteten Muskeln zu bewegen, aber ich habe in etwa so viel Energie wie eine ausgetrocknete Nacktschnecke. An meinem ganzen geschundenen Körper ist keine einzige Sehne mehr heil. Ich fühle mich wie das Opfer eines Exorzisten – ganz so, als wäre der Dämon, von dem ich besessen war, meine eigene Seele gewesen und als bliebe von mir nichts als eine leere Hülle zurück …
    Â»Gib mir was zu essen …«
    Auf der Stelle holt Bruno mir ein Stück Fleisch. Ich reiße es ihm aus den Händen und beiße gierig hinein, im Gefühl, mit meinem Hunger um jeden einzelnen Bissen zu ringen, als wären mein Hunger und ich siamesische Zwillingsmonster, ich der Mund und er der Bauch, der mir den Geschmack des Fleisches abspenstig macht, während ich ihm seine Nährkraft raube. Bruno muss mich zügeln. Er ermahnt mich, es langsam angehen zu lassen und in aller Ruhe zu kauen. Als ich den Knochen fertig abgenagt habe, bringt er mir schnell noch ein Stück Brot und den Rest einer gallertartigen Suppe. Ich schütte alles auf einmal in mich hinein.
    Â»Verdammt, aus was für einer Welt kommst du nur zurück?«, seufzt Bruno

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