Die Landkarte der Finsternis
einflöÃt.
»Na, willst du vielleicht ein Autogramm von mir?«, höhnt er.
Ich antworte nicht.
Er grunzt verächtlich, stöÃt mich mit dem Fuà zurück und knurrt:
»Im humanitären Sektor? Das hat ja gerade noch gefehlt. Du, der blonde Knabe mit dem Mädchengesicht, der ohne seine Rolex am Handgelenk und seinen Porsche unterm Hintern nicht überleben kann, du bist im humanitären Sektor tätig? Du, der Jammerlappen, der Rassist, der noch den Bürgersteig desinfizieren würde, wenn er zufällig erführe, dass vor ihm gerade ein Bimbo des Weges gekommen ist, du willst mir weismachen, dass dich das Elend der Welt so sehr mitnimmt, dass du deinen netten kleinen Komfort aufgeben würdest, um das Martyrium der Blähbauchneger zu teilen?«
»Das denken Sie doch nicht wirklich, was Sie da sagen!«, werfe ich ein.
»Das Denken habe ich an dem Tag aufgegeben, als mir klar wurde, dass ein Gewehrschuss weiter reicht als die schönsten Worte.«
»Vielleicht ist genau das ja Ihr Problem!«
»Ach ja?«
»Sicher ⦠Ich bin kein Rassist, ich bin Arzt. Wenn ich einen Patienten abhorche, habe ich gar keine Zeit, über seine Hautfarbe nachzudenken â¦Â«
»Hör bloà auf, es zerreiÃt mir noch das Herz ⦠Typen wie du sprühen sich doch Sagrotan in die Augen, sobald sie an einem Bettler vorbeikommen. Du bist weiter nichts als ein blöder Rassist, der im Namen einer beschissenen christlichen Barmherzigkeit an unseren Leichenbergen herumschnüffelt.«
»Ich erlaube Ihnen nicht, mich als Rassisten zu beschimpfen. Das verbiete ich Ihnen.«
»Siehst du?«, antwortet er. »Selbst unter meiner Knute denkst du noch, du könntest mir Befehle erteilen. Du bist mir ausgeliefert, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, und erwartest immer noch, dass ich erst deine Erlaubnis einhole, bevor ich dich wie einen Hund totschlage â¦Â«
Bevor er sich auf den Weg in seine Unterkunft macht, um nachzusehen, ob er nichts vergessen hat, brummt er kopfschüttelnd:
»Diese verdammten WeiÃen! Berauschen sich an sich selbst. Man könnte ihnen Weihwasser in den Wein schütten, selbst das würde sie nicht ernüchtern.«
Das Tal fällt etwa dreiÃig Kilometer lang sanft ab, bevor es jäh gegen eine felsige Bergkette stöÃt, der die Erosion kräftig zugesetzt hat. Genaugenommen handelt es sich nicht um Berge, aber angesichts des traumatisch öden Flachlandes ringsum wirkt die geringste Erhebung um ein Vielfaches gröÃer, als es ihren tatsächlichen MaÃen entspricht. Es ist, als müsste sich in dieser ÂTotengräberlandschaft jeder Stein überdimensional groà präsentieren, um nicht für alle Zeiten unterzugehen. Seit vier Stunden chauffiert Joma uns schon durch diese Mondlandschaft, und nicht eine Sekunde lang habe ich das Gefühl, als wäre irgendwann ein Ende in Sicht. Die ewig gleichen Felsen am Ende ewig gleicher Pisten, der ewig gleiche rissige, ausgedörrte Boden am Grund ewig gleicher ausgetrockneter Flussbetten, und dazu immer dieselbe brünstige Sonne, die ihre Lavaströme auf unsere Köpfe ergieÃt. Der statische Staub verleiht dem Horizont einen Anstrich von Leere und Endgültigkeit â ein Standbild vom Ende der Welt.
Ich sitze hinten auf dem Pick-up, an den Seesack gelehnt, die Beine lang ausgestreckt auf der Ladefläche, lasse den Film des allmählichen Verfalls an mir vorüberziehen und stelle mit einem Mal fest, dass mir das alles vollkommen egal ist. Mir beginnt langsam zu dämmern, wie es kommt, dass die Helden in manchen Kriegsfilmen, nachdem sie alle feindlichen Angriffe erfolgreich abgewehrt und tage- und nächtelang tapfer gekämpft haben, plötzlich aus ihren befestigten Stellungen auftauchen und sich ungeschützt den gegnerischen Salven aussetzen ⦠Wie dem auch sei, ich habe keine Ahnung, was in den Köpfen unserer Entführer vor sich geht. Ihre Mentalität ist mir so fremd wie ihre Definition zwischenmenschlicher Beziehungen. Ich kann mich noch so sehr bemühen, hinter den Mechanismus von beispielsweise Jomas Denkweise zu kommen, es ist, als wollte ich esoterische Kryptogramme entschlüsseln. »Diese Leute sind zwar unsere Zeitgenossen, doch sie entstammen einer anderen Epoche«, hat Hans mich gewarnt. Ich habe ihm das am Anfang nicht abgenommen. Meine Erziehung und meine Kultur haben mich gelehrt, dass sich
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