Die Landkarte der Finsternis
Sekundenlang regt sich kein Muskel in ihren schweiÃglänzenden Gesichtern.
»Das ist doch sonnenklar«, erkühnt sich der Franzose. »Das riecht nach einem abgekarteten Spiel, verdammt! Ich könnte wetten, der Hauptmann und Moussa stecken unter einer Decke und haben das zusammen ausgeheckt. Am Ende haben sie die Segel schon längst Richtung Schlaraffenland gesetzt, nachdem sie eure Kumpels mitten in der Wildnis ausgeladen haben, während ihr hier in der Sonne vor euch hin schmort.«
»Haltâs Maul!«, fährt Joma ihn an.
»Denkt bloà mal eine Sekunde nach«, setzt Bruno noch eins drauf.
Joma zieht seine Pistole und feuert zweimal in Richtung des Franzosen, der sich hinter der Mauer flach auf den Boden wirft. Die Schüsse überziehen das Lager mit einem eisigen Hauch.
»Damit bringt man nicht nur Wild zur Strecke!«, warnt Joma jene, die es gewagt haben aufzubegehren. »Dem Ersten, dem es einfällt, mir Kontra zu geben, blas ich das Hirn aus dem Schädel. Solange der Hauptmann nicht da ist, bin ich es, der die Entscheidungen trifft. Geht jetzt an eure Arbeit zurück, morgen brechen wir in aller Frühe auf â in Richtung Station 28.«
Die Piraten zerstreuen sich, nicht ohne einander finstere Blicke zuzuwerfen.
Spät in der Nacht weckt Bruno mich auf. Er legt mir die Hand auf den Mund und bedeutet mir, ihm zum vergitterten Ausguck zu folgen. Am narbigen Himmel ist vom Mond nicht mehr als ein abgekauter Fingernagel zu sehen. Das Lager ist in schwärzeste Finsternis getaucht. Mit dem Finger weist mich Bruno auf etwas hin. Ich muss mich sehr konzentrieren, um vier Gestalten zu erkennen, die sich verstohlen am Jeep zu schaffen machen. Eine der Gestalten steigt schlieÃlich ein und setzt sich ans Steuer, während die drei anderen sich gegen die Motorhaube stemmen und das Fahrzeug Richtung Toreinfahrt schieben. Der Jeep gleitet sachte über den sandigen Hof, manövriert behutsam um den Brunnen herum, windet sich zwischen der Zisterne und einem Steinhaufen hindurch und passiert geräuschlos die Einfriedung. Er verschwindet hinter dem Erdwall, taucht weiter hinten wieder auf, immer noch von den drei Gestalten geschoben. Erst als er die Piste erreicht, die zum Tal führt, zwei- oder dreihundert Meter vom Stützpunkt entfernt, heult der Motor auf, und der Jeep rast im Dunkeln davon, ohne die Scheinwerfer anzumachen. Durch das Dröhnen alarmiert, kommt Joma aus dem Kommandoposten gerannt, in Unterhose, aber mit einem Maschinengewehr im Arm. Er ruft nach seinen Männern, und erst, als niemand auftaucht, nur ein schlaftrunkener Blackmoon, da dämmert ihm, dass das kein feindlicher Angriff war â die vier »Meuterer« vom Vorabend haben sich soeben abgesetzt. Er flucht, dass sich die Balken biegen, läuft zur Bresche im Wall, lässt den Blick über das von Dunkelheit überflutete Tal schweifen und beginnt wie ein Wahnsinniger durch die Gegend zu ballern.
Bis zum Morgengrauen hat Joma auf dem Schutzwall ausgeharrt, hat den Verschluss seines Gewehrs klacken lassen und von Zeit zu Zeit einen gellenden Wutschrei ausgestoÃen, als wollte er der Nacht einen Dolchstoà versetzen. Er empfindet die Fahnenflucht seiner Untergebenen offenbar als persönliche Beleidigung. Als Blackmoon ihn trösten wollte, hat er ihm gedroht, er würde ihm das Herz mit bloÃen Händen ausreiÃen, wenn er nicht sofort die Klappe hielte. Mehr als einmal hat er einen misstrauischen Blick in unsere Richtung abgeschossen, und trotz der Entfernung und der Dunkelheit überlief es Bruno und mich Âjedes Mal eiskalt.
Nachdem er vergeblich nach besonderen Zeichen am Horizont Ausschau gehalten hat, kehrt Joma schlieÃlich in seine Unterkunft zurück, um sich anzukleiden. Er zieht eine Jagdweste über eine Drillichhose, dazu neue Dschungelboots, hängt sich zwei Patronengürtel kreuzweise über die Brust, schlingt sich ein rotes Tuch um die Stirn und geht wieder hinaus auf den Hof, seine dicke Pistole unter der Koppelschnalle, in der Hand eine Kalaschnikow. Sein milchiger Blick ist dazu angetan, alles, was er nur streift, in Grund und Boden zu rammen.
Gegen acht Uhr morgens befreit er uns aus unserem Verlies und befiehlt Blackmoon, uns die Hände auf dem Rücken zu fesseln.
In der Zwischenzeit hat Joma an beiden Seiten des Pick-ups Treibstoffkanister befestigt und einen vollgestopften Seesack und einen Ranzen mit Riemen auf die
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