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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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zwischen einem mit dem Tod ringenden Bruno und dem sich lösenden Schuss schlicht ausgespart; eine Leerstelle hat sich in meine Erinnerungen gedrängt und hängt über dem Abgrund, in den mein Ich gestürzt ist. Ich, der honorige Doktor Kurt Krausmann, der in seinem Leben noch nie eine Waffe angerührt hat, ich habe einen Menschen erschossen! Die Gründe, die mich zum Äußersten getrieben haben, zählen nicht. Ich habe einen Mann getötet; nur das zählt, und ich werde für den Rest meiner Tage damit leben müssen. Bruno hat die halbe Nacht versucht, mich zur Vernunft zu bringen. Seine Worte sind nicht zu mir durchgedrungen, ich wusste nichts mit ihnen anzufangen. Er hat mir die dunklen Quetschwunden an seinem Hals gezeigt, hat geschworen, dass er ohne mein Dazwischengehen jetzt tot wäre und ich dazu. Dennoch hallte der gottverdammte Schuss fortwährend in mir wider. Gleich einer Abrissbirne, die eine Wand eindrückt! Ich sah immerzu Jomas aufgerissene Augen vor mir. Und seinen Mund, aus dem sich Ströme von Blut ergossen. Wie oft bin ich aus dem Pick-up gestiegen, um mich zu übergeben? Meine Kehle ist wund und mein Magen wie umgedreht. Zigmal hat Bruno mir versichert, dass er selber nichts anderes getan hätte, dass auch gar nichts anderes zu tun gewesen wäre. Gewiss, es war nichts anderes zu tun, aber ich habe einen Menschen getötet und weiß nicht, wie ich im Bewusstsein dieser Tragik weiterleben soll, ich, der ich fest glaubte, derlei sei mir kulturell einfach fremd.
    In eine Decke gehüllt steige ich aus dem Fahrzeug. Trotz der Hitze habe ich Schüttelfrost und ein wahnsinniges elektrisches Kribbeln in den Gelenken. Seit gestern habe ich keinen Bissen gegessen, und durch das viele Erbrechen ist mein Magen wie ausgewrungen. Der Ort, an den es uns verschlagen hat, lässt mich das Schlimmste ahnen. Eine nichtssagende Gegend, mit kümmerlichen Hügeln gespickt, über denen Dunstfetzen hängen. Bruno kauert neben einem Holzfeuer und überwacht einen winzigen Kaffeekocher, dessen Deckel leise klirrt. Er ist in einen braunen, für seinen hageren Körper viel zu großen Überwurf gehüllt (den er wohl im Seesack gefunden hat) und fächelt mit einem Zweig das Feuer an. Er wendet sich zu mir und begrüßt mich mit heiserer Stimme. Ich lasse mich auf einem Sandhaufen am Feuer nieder. Ein Waran steht zu voller Größe aufgerichtet oben auf einer Düne, blickt lauernd zu uns herüber und kriecht davon. Winzige Schraffuren am Boden verraten, dass hier vor nicht allzu langer Zeit eine Schlange vorübergehuscht sein muss. Zwei Raubvögel kreisen mit schrillem Schrei am Himmel. Unerbittlich verfolgt uns die Wildnis, heftet sich hinterhältig an unsere Fersen.
    Bruno reicht mir einen Gusseisenbecher und ein wenig Zwieback. Der Kaffee ist brühheiß und tut mir gut. Den Zwieback rühre ich nicht an.
    Â»Wie fühlst du dich?«, fragt er mich, während er behutsam die Würgemale an seinem Hals massiert.
    Ich antworte nicht.
    Bruno leert seinen Becher in einem Zug und begibt sich zum Pick-up. Er holt Jomas Landkarte hervor, breitet sie auf der Motorhaube aus, schafft es nicht, unsere Position zu bestimmen. Er erklärt mir, dass wir in den Kanistern noch an die hundert Liter Treibstoff haben, dazu dreißig Liter Trinkwasser und Proviant für eine Woche. Da er nicht die leiseste Idee hat, wo wir uns ­eigentlich befinden, schlägt er vor, so lange hierzubleiben, bis wir uns überlegt haben, was wir mit unserer so jäh und brutal über uns hereingebrochenen Freiheit anfangen wollen. Von unserem erhöhten Standort aus haben wir den perfekten Rundumblick über die gesamte Ebene. Sollte sich je ein Fahrzeug oder ein Kameltreiber in unsere Nähe verirren, könnten wir sie mit Hilfe des Fernrohrs leicht ausmachen und bösen Überraschungen vorbeugen. Wer weiß? Vielleicht fällt ja auch jemand vom Himmel direkt vor unsere Füße und rettet uns aus diesem Sand- und Kieslabyrinth.
    Ich habe nichts gegen Brunos Vorschlag einzuwenden, bin ehrlich gesagt auch viel zu unkonzentriert, um einen Gegenvorschlag zu machen.
    Zunächst nimmt Bruno die Gegenstände auf der Ladefläche des Pick-ups in Augenschein. Im Seesack finden wir zwei Militäruniformen, ein Paar Treter, Unterhemden, einen Tuaregschal, ein halbes Dutzend gefüllte und paarweise mit Heftpflaster zusammengeklebte

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