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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Falle, einem Hinterhalt ab. Nichts Verdächtiges. Der Mann geht in aller Ruhe seiner Beschäftigung nach. Wir beschließen, es auf einen Versuch ankommen zu lassen.
    Je näher wir den Hütten kommen, desto stärker fallen uns dunkle Bündel auf, die überall herumliegen. Das Dröhnen des Pick-ups scheint den Mann nicht zu stören. Unbeirrbar, ohne uns zu beachten, sammelt er weiter irgendwelche Dinge ein. Die Türen der Hütten stehen sperrangelweit offen, doch im Inneren bewegt sich nichts. Keine Frauen, keine Kinder. Die dunklen Bündel am Boden entpuppen sich als Tiere, und nicht eines steht auf. Auf dem Dorfplatz liegen zwei Esel, in der Koppel etliche Ziegen, quer über dem Trog ein Dromedar, und hier und da Hunde mit ausgerenkten Gliedmaßen. Sämtliche Tiere sind tot.
    Â»Hier hat wohl das Unglück zugeschlagen«, seufzt Bruno.
    Der Mann auf dem Platz, das sehen wir jetzt, ist damit beschäftigt, Laub und Zweige aufzulesen. Seine Arme sind voller Reisig. Uns hat er noch nicht zur Kenntnis genommen, obwohl der Lärm, den unser Fahrzeug macht, nicht zu überhören ist. Vielleicht übersieht er uns bewusst. Der Hund, der bei unserer Ankunft geflüchtet ist, kehrt zu seinem Herrn zurück, bleibt aber auf Abstand, bereit, jederzeit erneut das Weite zu suchen. Er kommt mir komisch vor mit seinen zurückgeklappten Ohren und dem zwischen die Hinterbeine geklemmten Schwanz, als stünde er unter Schock.
    Wir halten am Ortseingang und verlassen, auf alles gefasst, das Fahrzeug. Nicht nur die Tiere schwimmen in ihrem Blut, der ganze Boden ist von Blutspuren übersät, manche zeichnen die Wege menschlicher Körper nach, die über den Boden geschleift wurden. Patronenhülsen schimmern zwischen dem Geröll. Mit schlafwandlerischem Schritt steuert der Mann auf eine Strohhütte zu, legt seine Zweige dort ab und macht kehrt, um nunmehr das Dornengestrüpp zu holen, das die Koppel mit den abgestochenen Ziegen einfriedet. Bruno sagt etwas in einem afrikanischen Dialekt zu ihm, doch der Mann hört ihn nicht. Es ist ein spindeldürrer, buckliger Greis mit schlohweißem Haar. Sein Gesicht mit den knochigen, eingefallenen Wangen wirkt wie gemeißelt. Sein Blick ist abwesend, gleichsam als wäre er vom geronnenen Weiß seiner umschatteten Augen verschluckt.
    Aus der Strohhütte dringt ein grauenhaftes Sirren. Tausende von Fliegen schwirren erregt um einen Haufen menschlicher Leichen herum. Arme und Beine ragen heraus, Kinderleichen und Frauenkörper sind übereinandergestapelt, manche nackt und mit offenen Wunden. Wir sind wie gelähmt von diesem Anblick, dazu schlägt uns ein widerwärtiger Geruch entgegen, Verwesungsgeruch, den die Tuaregschals, die wir um unsere Gesichter geschlungen haben, kaum zu mildern vermögen.
    Â»Ich habe schon viele Massaker in meinem Leben gesehen«, klagt Bruno angewidert, »und jedes Mal wieder macht mich das ganz krank.«
    Â»Ob das Gerimas Männer waren?«
    Â»Ich sehe keine Reifenspuren.«
    Er weist mich auf Pferdeäpfel und zahllose Hufabdrücke am Boden hin: »Diese armen Teufel sind von berittenen Räubern überfallen worden. Es gibt hier viele kriminelle Banden, die so operieren. Sie rotten ganze Familien aus, die das Pech haben, in abgelegenen Weilern zu wohnen.«
    Â»Ich begreife nicht, was in den Hirnwindungen dieser Ungeheuer vor sich geht.«
    Â»Was weiß der Goldfisch im Wasserglas schon von der Komplexität der Weltmeere?«, kontert er, leicht vorwurfsvoll.
    Â»Ich lebe doch nicht auf einem anderen Planeten«, erwidere ich, erbost über die dauernden Spitzen, die er mir verpasst, und das nach allem, was ich hinter mir habe.
    Â»Der Goldfisch auch nicht. Aber was weiß er vom Sturm …? Die Menschheit hat jeden Sinn für die Nuancen verloren. Die einen sehen nur das Licht, die anderen nur den Schatten. Keiner macht sich noch die Mühe, die Dinge von verschiedenen Seiten zu betrachten. Kategorien wie Gut und Böse gehören der Vergangenheit an. Heutzutage gibt es nur noch Jäger und Gejagte. Erstere wollen nichts als ihren Lebensraum erweitern, Letztere nichts als überleben.«
    Â»Du bist schon viel zu lange in Afrika, Bruno.«
    Â»Afrika, Asien oder Lateinamerika, was macht das schon?«, brummt er verdrießlich. »Ist doch alles eins. Ob du nun Laufhaus sagst oder Puff, entscheidend ist der Geist, der darin wohnt. Nenn es

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