Die Landkarte der Finsternis
Kalaschnikow-Magazine, Sammelwerke zur europäischen Poesie, eine frische Unterhose, Sportschuhe und einen Stapel roter Halstücher in Originalverpackung. In die Rucksäcke hat Joma wild durcheinander Konservendosen, Henkeltöpfe, Kommissbrot und Zwiebackpacks, Dörrfleisch, Munitionsdosen, Handgranaten, Kerzen, Streichholzschachteln, einen Petroleumkocher, eine Packung Kaffee, Zucker und eine Taschenlampe geworfen. Ich suche nach meiner Uhr, meinem Ring und den anderen Dingen, die er mir auf der Segelyacht abgenommen hat, finde aber nichts. Bruno greift nach dem Lederranzen und öffnet ihn, nachdem er zuvor ein kleines Vorhängeschloss aufgebrochen hat. Zum Vorschein kommen, zwischen jeder Menge Papier, darunter etlichen mit verschlungener Handschrift beschriebenen Blättern voller Korrekturen, Jomas Reisepass, ein unleserlicher Personalausweis, sorgfältig in Plastikhüllen aufbewahrte Zeitungsartikel, ein dünnes Bündel Geldscheine, ein verschwommenes Hochzeitsfoto und ⦠ein Buch, bei dessen Anblick es uns den Atem verschlägt! Ein schmaÂler Gedichtband mit einem Cover von eigentlich ergreifender Banalität, prangte dort nicht flächendeckend Jomas Gesicht.
Buchtitel und Name des Autors sind rot unterstrichen:
Black Moon
Joma Baba-Sy
»Wow!«, macht Bruno.
Ich reiÃe ihm das Buch aus den Händen. Auf dem hinteren Buchdeckel steht: Joma Baba-Sy, gelernter Schneider, ist nebenher ein talentierter Verseschmied und ein hypersensibler Geist mit wortgewaltigen Ausbrüchen, in denen er versucht, Afrika wachzurütteln. Black Moon ist sein erstes Werk. Unverkennbar zeigt sich schon hier der authentische Tonfall des Dichters, der der Literatur unseres Kontinents bald seinen unverwechselbaren Stempel aufdrücken wird. Joma Baba-Sy hat den Nationalen Literaturpreis, den Léopold-Senghor-Preis und den Pokal für die beste politische Lyrik erhalten.
»Dieses brutale Scheusal war ein Dichter â¦Â«, schnappt der Franzose nach Luft.
Wieder überläuft es mich eiskalt. Ich wickele mich fester in meine Decke, laufe zur Düne und lasse mich unter der prallen Sonne in den Sand fallen. Mir ist danach, in die Wüste zu starren, ohne etwas zu sehen, einfach nur zu schweigen und an nichts zu denken.
Die Sonne hat den Nebel verjagt, und man kann unendlich weit sehen. Die wenigen klebrigen Wolken, die sich vorwitzig am freien Himmel gezeigt hatten, haben sich aufgelöst und nichts als ein faseriges, hauchdünnes Grabtuch zurückgelassen. Wir haben uns die Lider am Fernglas wundgedrückt, jeden Lichtreflex ins Visier genommen und manchmal schon geglaubt, aus dem Nichts einen Konvoi oder eine Gruppe von Nomaden auftauchen zu sehen; aber es sind immer nur Luftspiegelungen. Am späten Vormittag wurden wir Zeugen einer furchtbaren Niederlage, die drei Schakale einem herrenlosen Hund beibrachten. Das arme Tier hat sich mit bemerkenswerter Tapferkeit zur Wehr gesetzt, aber seine nicht einmal ausgehungerten, dafür umso ausgefuchsteren Angreifer haben ihn am Ende doch in Stücke gerissen. Nach vollbrachter Missetat sind die drei Schakale durch einen ausgetrockneten Flusslauf auf und davon.
Wir haben zu Mittag gegessen, unseren Kaffee getrunken und dann wieder unseren Beobachtungsposten eingenommen. Die Wüste zu observieren, ist mehr als monoton ⦠Am späten Nachmittag machen sich erste Anzeichen von Nervosität bei mir bemerkbar. Bruno gibt zu, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, auf ein Wunder zu warten. Wir fahren also weiter, Richtung Norden. Was für eine Erleichterung, als wir nach einer Stunde Fahrt ein paar armselige Hütten erblicken. Schon leuchtet das Licht am Ende des Tunnels wieder auf. Euphorisch tritt Bruno auf die Bremse. Er reibt sich die Augen und steigt nicht eher aus dem Wagen, als bis er sicher ist, dass er auch wirklich keiner Halluzination erliegt. Ich baue mich neben ihm auf einer Anhöhe auf und warte mit fiebernder Ungeduld, dass er mir das Fernglas überlässt.
»Da vorn ist wer!«, ruft er und weist mit dem Arm auf den Weiler.
Eine Gestalt bewegt sich über den Platz zwischen den Hütten, dicht gefolgt von einem Hund, wandert von Hütte zu Hütte, bückt sich hier, bückt sich da, sammelt irgendetwas auf. Es ist ein Mann. Er ist allein. Der Weiler scheint nicht bewohnt. Bruno nimmt mir das Fernglas wieder aus der Hand und sucht die Umgebung sorgfältig nach einer eventuellen
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