Die Landkarte der Finsternis
monumentalen Akazie zu gönnen, deren Zweige über und über mit Votivgaben für Ahnen und Marabuts behängt sind: Tücher, Stoffpüppchen, Schmuck, mit Haaren umwickelte Steckkämme, winzige Tontöpfe mit getrocknetem Tierblut. Der Boden rings um das Heiligtum ist mit Dromedarköteln und den Ãberresten früherer Biwaks übersät. In der Nähe des heiligen Baums entdeckt Bruno einen Brunnen ohne Rand, aber mit einer Art Trog. Wir waschen uns von Kopf bis FuÃ, reinigen unsere Kleidung und breiten alles zum Trocknen auf den glühend heiÃen Felsen aus. Bruno befördert aus den Tiefen des Seesacks frische Boxershorts zutage, aber mir sind sie viel zu groÃ; ich begnüge mich mit einem Känguru-Slip und einem Unterhemd, beides noch originalverpackt. Ich bin ziemlich abgemagert und habe am ganzen Leib Pickel, von denen manche eine gräuliche Färbung aufweisen. In meiner rechten Achselhöhle ist ein Furunkel gewachsen, zwei weitere verunstalten meine Leistenbeuge; meine Oberschenkel sind faltig und eingefallen, meine Knie von einer dicken weiÃlichen Kruste bedeckt. Bruno bleibt unbekleidet. Mit seinem rebellischen Bart und dem Schlangenhaar hat er Ãhnlichkeit mit einem Guru. Er macht ein paar Gymnastikübungen, streckt die Arme und verschränkt sie vor der Brust, geht in die Hocke, kommt wieder hoch und lässt seinen Hals unter lautem Knacksen der Nackenwirbel kreisen, dann wendet er mir, in der Absicht, mir ein Lächeln zu entlocken, den Rücken zu und beugt sich vor, um mit den Fingern die ÂZehenspitzen zu berühren, wobei er mir sein haariges Hinterteil präsentiert, mit dem er plump zu wackeln beginnt. Er fährt mit seiner clownesken Darbietung so lange fort, bis ich laut auflache. Geschmeichelt von seinem Erfolg, breitet Bruno die Arme zu einer grotesken Choreographie aus und wechselt mit verblüffender Leichtigkeit zwischen mystischem Tanz und klassischem Ballett hin und her, wobei er einmal den zornigen Schamanen, einmal die Ballerina mimt. Völlig überrascht von seinem Improvisationstalent und seiner komödiantischen BeÂgabung, von der ich keine Ahnung hatte, lache ich Tränen, und es ist, als würde ich mich in einem homerischen Hustenanfall von all dem Unrat befreien, der mir Leib und Seele vergiftet hat.
Wir nehmen unsere Mahlzeit im Schatten der Akazie ein und legen uns zur Siesta nieder, während ein Windhauch uns ein wenig Kühlung zufächelt.
Als ich aufwache, ist Bruno in die Lektüre der Gedichte von Joma Baba-Sy vertieft. Er klappt den Band mit einem Ausdruck der Bewunderung zu, betrachtet eine Weile das Coverfoto und bemerkt, dass es nahezu unglaublich ist, dass ein solcher Ausbund an ungestümer Wut und Bestialität wie dieser Joma so viel Sensibilität in sich getragen hat â¦! Dann schlägt er das Buch wieder auf, überspringt ein paar Seiten und stoppt bei einem Gedicht, das er mit lauter Stimme vorliest:
Afrika,
Totenkopf,
Der in trüben Gewässern schwimmt
In Meeren ohne Horizont
Was haben deine sonnenstichigen Bastarde
Aus deinem Gedächtnis gemacht?
An deinen geschundenen Gestaden
Vermodern deine Romanzen
Wie Treibholz
Und gottlos liegt dein Himmel brach
Dein frommster Wunsch jagt seinem Echo nach.
Afrika, mein Afrika
Was wurde aus deinen Trommeln
Im Schweigen der Leichenberge?
Was aus deinen Barden
Im blasphemischen Tosen der Waffen?
Was aus deinen Stämmen
Im betrügerischen Spiel der Nationen?
Ich habe deine Flüsse befragt
Und deine verlorenen Dörfer
Habe in der Trance deiner Frauen
Nach deinen Trophäen gesucht
Nirgends habe ich
Deine alten Legenden gefunden.
Deine Könige wurden vom Thron gestoÃen
Nicht anders als deine Holzstatuen
Deine Folklore â verstummt
Deine Traditionen â erloschen
Deine Geschichten flackern auf
Im Tyrannenlob
Dein Schicksal verleugnet dich Mutter Afrika
Einer VerstoÃenen gleich
Und keins meiner Gebete
Erkennt sich wieder in dir.
Afrika, mein Afrika
In eine Hand hast du mir den Tod gegeben
Und in die andere das Unrecht
Und hast mich sämtlicher Schutzpatrone beraubt,
Aller Heiligen, Apostel und Propheten
Mir nichts als meine Tränen gelassen
Um sie über der Schmach zu vergieÃen
Die deine Missgeburten dir zufügen
Jeden Tag, den der Herrgott werden lässt.
Was soll aus mir werden
Im Schatten deiner Raben?
Was soll ich noch hoffen
Ich, der zu träumen
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