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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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von seinen Begegnungen und Herzensqualen, seinen verschmähten Liebschaften, seinen Erniedrigungen und Triumphen … Ich wage zu hoffen, dass die kommende Nacht keine Ausnahme von der Regel darstellt. Ich brauche das heute, dass er mit mir spricht, mich bis zum Abwinken mit seinen Abenteuern abfüllt, mir bis zur Besinnungslosigkeit von den Frauen erzählt, die ihm davongelaufen sind, den Chancen, die er sausen ließ. Vielleicht wird seine inspirierte Stimme mir dabei helfen, die Gewissensbisse zu zerstreuen, die mich innerlich zerfressen. Bruno hat großes Talent darin, jedes Desaster im Nachhinein aufzuwerten und in den abstrusesten Dingen einen Sinn zu sehen.
    Â»Seit wir uns kennen, hast du kein einziges Mal den Namen einer Frau ausgesprochen«, bemerkt er aus heiterem Himmel.
    Der Wind beginnt in den Nischen der Höhle zu wispern, während der Bannstrahl der Nacht jene Tiere trifft, die, man errät es im Dunkeln, weitab von ihrem Bau ein Revier durchstreifen, das bis auf die Knochen abgenagt ist. Ich bin jedenfalls froh, überhaupt seine Stimme zu hören. Zwar hatte ich gehofft, er würde mir von sich und von Afrika erzählen, seine Romantik und seine Jenseitigkeit wären eine gute Therapie für mich. Aber nun interessiert er sich ausnahmsweise einmal für mich, und ich, der ich damit nicht gerechnet habe, bleibe die Antwort schuldig.
    Â»Soweit ich mich erinnere, hast du nie von einer Frau erzählt, Kurt. Gibt es jemanden in deinem Leben?«
    Â»Ich bin verwitwet«, erkläre ich knapp, in der Hoffnung auf einen Themenwechsel.
    Â»Oh, das tut mir leid«, antwortet er nach kurzer, verlegener Pause.
    Er zögert, dann fährt er fort:
    Â»Krankheit?«
    Â»Unfall.«
    Â»Verkehrsunfall?«
    Â»Nein.«
    Â»Arbeitsunfall.«
    Â»Sozusagen.«
    Er stützt sich auf einen Ellenbogen, sieht mich an, eine Hand unterm Kinn, und bekennt:
    Â»Die Neugier ist ein afrikanisches Laster. Bei uns weiß man nie, wo die Neugier aufhört und die Indiskretion anfängt. Aber du musst mir ja nicht antworten.«
    Â»Offen gestanden habe ich wenig Spannendes zu diesem Thema beizutragen«, beruhige ich ihn.
    Â»Gut, dann will ich nicht weiterbohren.«
    Â»Es ist alles ziemlich kompliziert.«
    Â»Kann ich mir denken …«
    Er legt sich wieder hin, verschränkt die Finger über seinem Bauch und starrt zu den Myriaden von Sternen am Himmel empor.
    Â»Ich muss oft an Aminata denken«, beginnt er. »Ich frage mich, was aus ihr geworden ist, ob sie glücklich ist mit ihrem Cousin, ob sie Kinder hat, ob sie sich noch an uns erinnert … Sie schien so glücklich mit mir zu sein. Ich brachte sie dazu, sich halbtot zu lachen. Ich glaube, sie liebte mich. Vielleicht nicht wie einen Geliebten, aber doch wie einen Freund … Ich hatte sie unter den jungen Mädchen des Stammes entdeckt. Sie war wunderschön. Vielleicht ein bisschen mollig, aber sie hatte einen unglaublichen Charme. Und Augen, in denen tausend Lichter blitzten. Und sie roch so gut, wie eine Frühlingswiese … Ich habe um ihre Hand angehalten, ohne sie zu fragen, und der Stammesälteste hat zugestimmt. Das ist bei den Azawed so üblich … Sie hätte immer noch nein sagen können. Niemand hätte sie gezwungen. Der Stammesälteste hat ihr meinen Antrag übermittelt, und sie hatte nichts dagegen einzuwenden … Ich begreife nicht, warum sie gegangen ist. Ich suche nach einer Entschuldigung, finde keine. Ich erinnere mich nicht, ihr jemals etwas versagt zu haben. Im Bett war ich vielleicht keine Granate, aber meine ehelichen Pflichten habe ich stets erfüllt … Ihr Cousin kam nicht oft zu uns, jedenfalls niemals allein oder außerhalb religiöser oder familiärer Festtage. Nicht ein einziges Mal habe ich ihn bei einem verdächtigen Blickwechsel mit Aminata ertappt. Sie schienen einander zu ignorieren. Und dann, von jetzt auf gleich, sind die Täubchen ausgeflogen, auf und davon, ohne Vorwarnung, ohne ein Wort der Erklärung. Ich war völlig überrumpelt.«
    Â»Warst du wütend auf Aminata?«
    Â»Auf mich war ich wütend, nicht auf sie … Das sind Dinge, die sind größer als du. Als fiele dir plötzlich ein Ziegelstein auf den Kopf, und das war’s … Fehlt sie mir? Ich weiß nicht recht. Sie war ein anständiges Mädchen, hatte ein gutes Herz. Ich habe nicht das Gefühl, von ihr verraten worden zu

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