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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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sein. Sie hat nur eine Wahl getroffen. Hat sie das Leid bedacht, das sie mir zugefügt hat? Nicht eine Sekunde lang. Aminata war unfähig, sich etwas Böses zu denken. Sie hatte ein gutes Naturell und war naiv genug, einen Vogel für einen Traum zu halten.«
    Â»Du liebst sie immer noch.«
    Â»Hm … ich glaube nicht.«
    Â»Das sieht doch ein Blinder.«
    Â»Nein, wirklich nicht. Das ist ja schon ewig her … Was bleibt, ist eine Art von Bedauern. Ein unbedeutendes Missverständnis … So ist das Leben, nimmt uns, was es uns gegeben hat. Nicht mehr und nicht weniger.«
    Am Himmel funkeln die Sterne um die Wette.
    Und Bruno, der erwartet jetzt von mir, dass ich meinerseits zu reden beginne, ihm irgendwas erzähle. Ich glaube, es geht ihm wie mir, auch er muss meine Stimme hören. Als er sich gerade umdrehen und nun doch einschlafen will, weil ich ihm, wie er wohl meint, ohnehin nichts von meinen Geheimnissen anvertrauen werde, überholt meine Stimme meine Gedanken, und ich höre, wie ich plötzlich sage:
    Â»Sie hat Selbstmord begangen.«
    Â»Wie bitte?«
    Â»Meine Frau … hat sich umgebracht.«
    Â»Oh mein Gott!«
    Dem hat er nichts hinzugefügt.
    Ich habe so lange in die Sterne gestarrt, bis sie begonnen haben zu flirren. Ganz steif bin ich. Und durchgefroren. Die spitzen Steine, auf denen ich liege, spüre ich nicht mehr. Als Bruno viele Stunden später zu schnarchen beginnt, rolle ich mich auf die Seite und warte mit leerem Blick geduldig darauf, dass die Morgenröte dem Tag wiederbringt, was die Nacht ihm geraubt hat.
    9.
    Vier elende Stunden lang haben wir uns über siebzig Kilometer Geröllpiste mit scharfkantigen Steinen gequält. Der Boden besteht aus einer endlosen Stufenfolge von bis zur Weißglut erhitzten Felsplatten. Der Pick-up schlingert über die Fugen, fängt sich wieder und kriecht unter ohrenbetäubendem blechernem Getöse voran. Es verreißt das Lenkrad derart brutal, dass meine Handgelenke vom ständigen Gegensteuern schon ganz überreizt sind. Ich bin am Rand eines Nervenzusammenbruchs. Es will mir nicht in den Kopf, dass man ganze Landstriche durchqueren kann, ohne irgendwo auf ein paar Menschen oder ein Dorf zu stoßen. Dass die Piraten unwegsame Pfade wählen, versteht sich, aber dass man Hunderte von Kilometern zurücklegen kann, ohne auch nur den Schatten einer Hütte mit einem Anschein von Leben ringsum zu erahnen, macht mich wahnsinnig. Jedes Mal, wenn wir glauben, gleich hätten wir es geschafft, sind wir wieder am Ausgangspunkt, mitten im Nirgendwo, vor uns der immer gleiche undurchdringliche Horizont und ringsherum Hügel, die in der gleißenden Sonne zerfließen, einer maßlosen, herrischen Sonne, die die Erde auf die Knie gezwungen hat und nun darangeht, den Himmel nebst allen Göttern des Olymps zu unterjochen – die Vorsehung kommt im Gewand einer bösartigen Farce daher. Ich frage mich, was das Durchhalten noch bringt, da unser Schicksal so offenkundig besiegelt ist. Die Versuchung ist groß, jetzt die Augen zu schließen und, von einem selbstmörderischen Impuls getrieben, voll aufs Gaspedal zu steigen …
    Bruno ergeht es nicht besser als mir. Er hat es längst aufgegeben, die Umgebung mit dem Fernglas abzusuchen oder mir irgendwelche Routen vorzuschlagen. Er döst neben mir vor sich hin, die Schulter an die Beifahrertür gelehnt, völlig erschöpft vom lauten Gepolter des Pick-ups. Ich bin verärgert, dass er den alten Mann vom Vorabend nicht eindringlicher befragt hat. Der hätte uns bestimmt weiterhelfen können; vielleicht wäre er sogar mit uns gekommen. Aber Bruno tut ja so, als würde er die Afrikaner besser kennen als jeder andere und als wüsste er immer haargenau, wann man sie anspricht und wann man sie lieber in Ruhe lässt. Ich habe ihn gefragt, wie es sein kann, dass er nach drei Tagen Fahrt noch immer keine Orientierung hat, er, der für westliche Journalisten und ganze Forscherteams als Führer gearbeitet haben will. Er hat mir in belehrendem Tonfall erklärt, dass in diesem Teil der Welt ein Führer in erster Linie jemand ist, der sich strikt an die Routen hält, die er mit traumwandlerischer Sicherheit kennt, denn wer nur einen Millimeter vom vorgegebenen Weg abweicht, könne sich ebenso in Gefahr bringen wie jeder unbedachte Springinsfeld …
    Wir beschließen, uns eine Rast im Schatten einer

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