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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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afrikanisch ist, extrem verzerrt. Der noch der letzten Quälerei einen Nutzen zuspricht und der letzten Plattitüde ein Relief verleiht. Wie oft haben wir uns deshalb nicht schon in die Haare gekriegt. Früher habe ich dann immer irgendwann das Handtuch geworfen. Ich hatte es satt, die Diskussion beständig auf den Kern zurückführen zu müssen, während Bruno sie fortwährend ausweitete und immer wieder ein Schlupfloch fand, bis am Ende sogar der Gebrechlichkeit etwas Heroisches anhaftete. Aber hier liegt der Fall anders. Wir haben diese Fabelwesen, die er so glorifizierte, während wir in Gerimas Knast vor uns hin moderten, ja nun vor Augen, und ich kann beim besten Willen nichts von dem Mythos erkennen, den sie seiner Meinung nach verkörpern.
    Â»Du enttäuschst mich, Kurt.«
    Â»Um mich geht es nicht, es geht um Afrika.«
    Â»Du hast ja keine Ahnung von Afrika.«
    Â»Von welchem Afrika? Von dem, das man sieht, oder von dem, das man fühlen und riechen kann? Mal ganz konkret«, sage ich und sehe ihm offen ins Gesicht, »was fasziniert dich ­eigentlich so sehr an Afrika?«
    Â»Genau das, was dich vorhin so beeindruckt hat: diese Lebensgier. Der Afrikaner weiß, dass sein Leben sein kostbarstes Gut ist. Krankheit, Freude oder Leid sind nichts als pädagogisches Beiwerk. Der Afrikaner nimmt die Dinge, wie sie kommen, ohne ihnen einen größeren Stellenwert einzuräumen, als sie verdienen. Und obwohl er an die Existenz von Wundern glaubt, fordert er sie nicht ein. Er genügt sich selbst, verstehst du? Seine Weisheit ist ein Schutzschild gegen alle Widrigkeiten.«
    Â»Du sagtest Weisheit?«
    Â»Du hast mich schon verstanden, Kurt!«, skandiert Bruno, der seine Wut nur schwer unterdrücken kann. »Der Afrikaner ist ein prachtvolles Geschöpf. Ob er auf der Schwelle seiner Hütte sitzt oder unter einem Johannisbrotbaum oder am Ufer eines Flusses voller Krokodile, er ist in erster Linie immer ganz bei sich selbst. Sein Königreich, das ist sein Herz. Niemand auf der Welt versteht sich besser aufs Geben und Vergeben als er. Wenn ich der Großzügigkeit ein Gesicht geben müsste, wäre es das Gesicht eines Afrikaners. Wenn ich der Brüderlichkeit einen Klang geben sollte, wäre es der Klang eines afrikanischen Lachens.«
    Â»Und wenn du der Fatalität ein Gesicht geben solltest …? Hör auf, Bruno. Von welchem Königreich redest du? Und von welcher Brüderlichkeit? Bist du blind oder einäugig? Es genügt nicht, das Elend in den Rang der Prophezeiung zu erheben, um aus den Verdammten dieser Erde Gerechte zu machen. Du schwafelst, Bruno. Ich kenne Afrika gewiss nicht besser als du, aber was ich mit eigenen Augen sehe, daran lässt sich nicht rütteln. Und ich sehe nichts von dem, was du mir weismachen willst … Nur der, der protestiert, beansprucht die Hoffnung für sich. Aber diese Menschen protestieren nicht. Sie flüchten, statt zu bleiben und Widerstand zu leisten. Sie packen in Windeseile ihre Kinder und Bündel zusammen und stieben wie aufgescheuchte Hühner davon. Der harmloseste Wirbelsturm, der sich von ferne ankündigt, versetzt sie in Panik … Soll ich dir mal was sagen? Diese Leute leben nicht, sie vegetieren vor sich hin, das ist alles.«
    Â»Fehldiagnose, Herr Doktor! Wenn das Leben dieser Menschen auch seinen Sinn verliert, so bleibt doch die Substanz – der unbeugsame Starrsinn der Afrikaner, auf keine einzige Minute der Lebenszeit, die die Natur ihnen zugesteht, verzichten zu wollen.«
    Â»Selbst ein Griot würde über dein Orakel lachen, Bruno. Und weißt du, warum? Weil er nichts zu beißen hat. Wer kurz vorm Verhungern ist, hat mit schönen Worten nichts im Sinn. Wem der Magen knurrt, dem geht nichts über die Illusion einer Mahlzeit.«
    Â»Wir haben nicht denselben Blickwinkel.«
    Â»Doch … Nur da, wo du Legendenbildung betreibst, da sehe ich nichts als Katastrophen.«
    Â»Afrika ist mehr als die Summe seiner Hungersnöte, Kriege und Epidemien.«
    Â»Nämlich?«
    Â»Die Weigerung, sich …«
    Â»Die Weigerung«, falle ich ihm ins Wort, »sich gegen sein Unglück aufzulehnen, meinst du das? Aus Kotze lässt sich kein Festmahl machen, Bruno. Dieser Kontinent hat furchtbare Probleme: unfähige Regierungen, Korruption, Disziplinlosigkeit, Straffreiheit für Kriminelle jeglicher Couleur, dazu kommt ein regelrechter

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